Geldgierig und toxisch: Formel 1-Promoter Willi Weber (r.) mit Michael Schumacher.

Wie sich die Autobiographie von Rennsportpromotor Willi Weber verkauft, die jüngst erschienen ist, weiß ich nicht. Aber deren Titel „Benzin im Blut“ weist daraufhin, wie falsch die vergangenen 50 Jahre in vielen Bereichen unserer Gesellschaft gelaufen sind. Als Gestalttherapeut, der sehr dicht an der Sprache mit Worten arbeitet, erkenne ich schon im Titel das Toxische: Denn wer tatsächlich Benzin im Blut hat, stirbt. Und charakterlich darf man den 79-jährigen Autoren durchaus in Zweifel ziehen. Vermutlich täte dem getriebenen Herzen des Ex-Managers, der sich mit Formel 1-Weltmeister Michael Schumacher zwei Jahrzehnte dumm und dämlich verdient hat, mehr warmes Blut besser als der fossile Kraftstoff.

Doch vermeintlich unbegrenzte Mobilität zu Wasser, Luft und auf der Erde sowie das vermeintlich persönliche Recht auf unbeschränkten Konsum haben uns über Jahrzehnte deformiert. Wir sind fett, faul und egoistisch geworden. Das „Benzin im Blut“, um Webers Bild aufzugreifen, hat uns von innen heraus vergiftet. So sehr, dass wir gar nicht mehr wahrnehmen, auf was für einem Pulverfass wir sitzen.

Darin bestätigt sehe ich mich durch den Ausgang der Bundestagswahl vorige Woche, die ein Weiterlavieren durchaus zulassen würde. Denn eindeutig war da gar nichts. Im Gegenteil. Freiheit und Ökologie wurden da ebenso ähnlich gewichtet, wie Soziales und Konservatives. Und bei der Oberbürgermeister-Wahl in Schorndorf, die am 7. November ansteht, zeichnet sich dieselbe Beliebigkeit ab: Bisher nur Männer, die sowohl als auch wollen. Na dann.

Unsere Raddemo: Vorne in Orange mein fünfjähriger Kompagnon.

Wohler habe ich mich da, weil garantiert kein „Benzin im Blut“, sondern Lebensfreude und Solidarität, schon bei der „Critical Mass“ vorigen Freitag gefühlt, bei der zum wiederholten Mal rund 80 Radfahrer aller Altersgruppen durch Schorndorf fuhren, um für mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger zu werben. Eskortiert von der Polizei durften wir je die gesamte Breite einer Fahrspur nutzen, die für uns abschnittsweise gesperrt wurde.

Ich hatte den fünfjährigen Sohn meines Agentur-Partners dabei, der seit dem Frühjahr das Radfahren für sich entdeckt hat und immer virtuoser fährt, inklusive Schalten, Anfahren und im Konvoi pedalieren. Für ihn war es eine wunderbare Erfahrung, dass die Straße den Radfahrern gehört und die so viele sind bzw. sein können, während er sonst ständig verängstigt um sich schauen muss, ob von irgendwoher ein Auto kommt, das per se stärker ist als er und gefährlich ist.

„Benzin im Blut“ ist derselbe Quatsch wie der Glaube, Konsum mache glücklich. Beziehungen machen glücklich. Emotionalität macht glücklich. Das Wissen um eine sichere Zukunft würde glücklich machen. Oh, Mann, ich könnte kotzen. Ein Monat Europa-weiter Konsum-Verzicht, das wäre mal ne Erfahrung. Ich habe die Ölkrise 1973 mit ihren Fahrverboten noch in bester Erinnerung: Freie Fahrt auf der B27!

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