Tomo Pavlovic spricht mir mit seinem Essay „Über Geld spricht man nicht“, der am Samstag in der Beilage der Stuttgarter Zeitung erschienen war, aus der Seele. Seine These: Persönliches Einkommen und Vermögen seien die letzten Tabus unserer Gesellschaft. Und das Phänomen sei typisch deutsch, denn in Osteuropa und auf dem Balkan diskutierten Männer – häufig im Beisein der Familie – ihr Einkommen, wie es sich zusammensetzt und ihre Steuerlast. So bekommen schon Kinder eine Idee, wie die Verdienstaussichten in einzelnen Berufen sind und sind informiert über die Finanzkraft oder -schwäche ihrer Herkunftsfamilie. Und statt der Frage, wer den vermeintlich spannendsten Urlaub hatte, wird geklärt, wer am meisten verdient (und deshalb vielleicht die Zeche im Lokal zahlt).
In Thailand bspw. zahlt im Lokal nicht der für alle, der eingeladen hat, sondern der, der am meisten verdient bzw. am reichsten ist. Und irgendwie scheinen das auch alle am Tisch zu wissen, wie ich selbst vor Jahren persönlich erlebt habe, als ich mit einem vermögenden Freund dessen angeheiratete Verwandtschaft dort besuchte. Die Tischrechnung bekam immer er. Pavlovic führt in seinem Beitrag die Verklemmtheit der Deutschen bei diesem Thema auf unsere ausgeprägte Neidkultur zurück. Und vermutlich hat er recht. Umgekehrt sind „dicke Autos“ seit Jahrzehnten gerade in unserer Nation populär, obwohl man diese auch leasen kann.
Ich jedenfalls, schon weil ich Journalist bin und deshalb gewohnt bin, viele Fragen zu stellen, frage auch im Freundeskreis und bei Recherchen immer wieder, was man auf welcher Position verdient und wie sich etwa im Vertrieb Einkünfte aus Fixgehalt und Provision zusammensetzen. Die Folge: Ich habe ein gutes Gefühl, wer was verdient, zumal im tariflichen Bereich ohnehin alles einsehbar ist. Oberhalb dessen liege ich aber meist deutlich daneben. Wo ich eine Führungskraft auf 250.000 Euro taxiere, kommt sie auf maximal 180.000 Euro; wo ich 120.000 Euro schätze, bekommt derjenige 85.000 Euro usw.
Dabei habe ich das Gefühl, man lässt die Nachbarn auch gerne im Glauben, man verdiene deutlich mehr. Und seit den Erbengenerationen sagt das Gehalt ohnehin immer seltener etwas, weil jemand bspw. ein Aktiendepot mit 100.000 Euro geerbt hat, das im Schnitt acht Prozent Rendite im Jahr abwirft, oder ein abgezahltes Drei-Familien-Haus, das sein Einkommen verdoppelt. Umgekehrt weiß ich durch mein vieles Fragen, dass selbst 50-jährige Ingenieure oder Selbstständige mit einer langen Erwerbsbiographie 50.000 Euro und mehr Altschulden haben. Frage ich dann verwundert nach, werden die Situationen plausibel: Insolvenz, Scheidung, Spielschulden, gescheiterte Bürgschaften u.v.m.
Meiner Meinung nach müssten wir viel mehr und öffentlich über persönliche Einkünfte reden. Nicht nur bei unseren Parlamentariern. Das täte letztlich unserer Demokratie gut, weil wir ein Frühwarnsystem hätten, wo die gesellschaftliche Schere auseinandergeht. Dann wüssten auch örtliche Vereine genauer, wen sie fragen müssen, wenn sie Sponsoren suchen. Statt immer zur Kreissparkasse, der Volksbank und den örtlichen Handwerkern zu gehen. Andere in der Stadt, die oft gar nicht sichtbar sind, weil sie als CEO ihr Geld 20 oder 100 Kilometer weiter verdienen oder als Privatier mit Millionen von Euro sich an Start-ups beteiligen mit Renditen von 15 und 25 Prozent, kennt kaum ein Mensch.
Wenn die Reichen sichtbarer wären, könnte man auch besser von ihnen lernen. Denn viele waren und sind verdammt fleißige und sparsame Menschen, die viel Geld reinvestieren, weil sie zum Ausgleich für ein fremdbestimmtes Leben nahezu nichts konsumieren müssen. Auch sind sie risikobereit und geistig flexibel, um sich schnell anpassen zu können. Vielleicht müsste man das manchem Gewerkschafter mal referieren, der sich in seinem unkündbaren Job juristisch gegen jede Veränderung wehrt und dabei auch körperlich (und geistig) so vernachlässigt, dass seine Beschäftigungsfähigkeit massiv darunter leidet.
Auch sollten wir unseren Kindern erzählen, welche monatlichen Einkünfte wir haben und woher, damit sie einen Bezug zur Realität bekommen. Dazu gehört auch ein Kurzreferat über Brutto und Netto und dass „der Staat“ mit der Differenz Steuererleichterungen, Subventionen, Gesundheitswesen, Renten, Bildung, Sozialhilfe, Verwaltug, Verteidigung (Rüstung) u.v.m. finanziert. Vielleicht würde dann sogar die Wahlbeteiligung wieder steigen und mehr „Arme“ würden dafür sorgen, dass hohe Einkommen und Vermögen höher besteuert werden. Das wäre mal ein Anfang.