Im Mittelalter war Kunst exklusive Auftragsarbeit der Kirche zur Glaubensvermittlung. Die Künstler waren interessensgetrieben und die Skulpturen, Bilder und Fresken damit letztlich manipulativ. Deshalb stürmten die „Protestanten“ auch die Kirchen und zerstörten die vorhandene Kunst weitgehend als Akt der Emanzipation.
17 Skulpturen zieren im Rahmen des Luther-Jahres seit 1. April in zehn Metern Höhe nun wieder die seit der Reformation verwaisten Sockel der Schorndorfer Stadtkirche. Bis zur Finissage am 10. November finden sieben Begleitveranstaltungen statt, von denen ein Gespräch mit vier der 17 ausstellenden Künstler kürzlich im Altarraum der Kirche stattgefunden hat.
Im Beisein von 80 Besuchern wurde deutlich: Heutige Künstler mögen religiös sein, ihre Kunst ist aber meist ideologiefrei. Für Angela M. Flaig, in Kirchenkreisen etablierte Künstlerin aus Rottweil, gilt dies nicht. Für sie stehen die pflanzlichen Flugsamen, mit denen sie arbeitet, für Fortpflanzung und die Schöpfung per se. Sie ist in Schorndorf mit einer großen Röhre vertreten, die sie mit fixierten und verblühten Löwenzahn-Blüten befüllt hat.
In krassem Gegensatz zu ihr steht der Berliner Künstler Andreas Schmidt, der schon – an einen Bürostuhl gefesselt – durch Stuttgart gerollt ist oder in 30 Metern Höhe auf dem Ausleger eines Krans genächtigt hat. In Schorndorf ist er mit einer roten Fahne vertreten, auf der in schwarzer Schrift Mittwoch steht.
Seine Intention: Er will experimentieren und Selbsterfahrungen machen. Mit der Idee der Fahne hatte er zunächst Hemmungen, sich im Rahmen eines kirchlichen Projekts, auf das sich 100 Künstler bewarben, mitzumachen. Doch dann fand er den theologischen Unterbau: Mittwoch stehe für den Griechen-Gott Merkur und im englischen Wednesday sei noch der Wortstamm Wotan zu erkennen.
Seine These: Mit der Banalisierung der Wochentagsbezeichnung auf ihre Funktion, die Mitte der Woche, habe die Kirche das Heidnische verdrängt und die Kultur christianisiert. Die Flagge selbst steht für ein Bekenntnis. Hardy Langers Männchen, das ich hier im Foto schon gezeigt habe, sei kein Flüchtender, sondern ein Hörender, so der Schorndorfer Künstler.
Seine pinkfarbene Skulptur, die wie auf einem Sprungbrett steht, visualisiere seine Bereitschaft zum Risiko und spiegele letztlich seine biographischen Suchbewegungen wieder. Denn Langer ist getauft und konfirmiert, sei aber heute „eher auf Distanz zur Kirche“. Umso mehr freut ihn, wie nun Kunst und Kirche in diesem Projekt den Dialog suchen.
Mit Thomas Putze saß auch ein gelernter Landschaftsgärtner und studierter Theologe in der Runde, der bundesweit mit seiner Performance-Kunst sehr gut im Geschäft ist. In Schorndorf gehörte ihm bei der Vernissage die ganze Aufmerksamkeit, weil er sich nackt, nur eingerieben mit Sandstein-farbenem Lehm, für zehn Minuten in bitterer Kälte auf seinen Sockel stellte.
„Weil jede Skulptur ein Abbild ist und jede Art der Bekleidung eine Codierung, habe ich mich für die Nacktheit entschieden, obwohl das meinen pubertierenden Kindern furchtbar peinlich war“, sagt der per Bahn angereiste Stuttgarter. Die Aufregung um seine Performance erklärt er sich so, dass sich eben mancher wünsche, dass wenigstens die Kirche ein nicht-sexualisierter Ort bleibe.
Ursula Quast, die das Kunstprojekt initiiert hatte, betont, dass die Performance nicht in der Kirche, sondern an deren Außenfassade stattgefunden hat und Putze nichts Pornografisches gemacht habe, sondern lediglich unbegleitet war, wie Gott ihn schuf. Interessant sei gewesen, dass die Jury, die sich über drei Generationen und über mehrere Professionen erstreckte, einmütig war in ihrem Votum für diese 17 Künstler.