
Mittlerweile leite ich als Gestalttherapeut monatlich drei Männergruppen, zwei Vätergruppen und einen Stuhlkreis samstags, der gleichermaßen Männern und Frauen offensteht. Hinzu kommen jährlich sechs Wochenendseminare, die ich in Bildungshäusern gebe, sowie sieben teils mehrtägige Männerevents bundesweit pro Jahr, bei denen ich Workshops halte und für die ich Männer interessiere und rekrutiere.
Die Folge: Ich bin fast täglich am Einladen, Ausschreiben, Erklären, Überzeugen, Gewinnen, Vernetzen, Nachfassen und Fragen beantworten zu den Veranstaltungen – ehrenamtlich und während meiner täglichen bezahlten Arbeit als Journalist, PR-Berater, Teamentwickler und Therapeut, der im Einzel mit Klienten an deren Themen arbeitet. Daraus resultiert ganzjährig eine 60-Stunden-Woche mit extrem vielen Mails, Telefonaten und Zoom-Meetings.
Denn oft sind Männer unentschlossen, zögerlich, ängstlich und Scham-behaftet, was den Aufwand und die Einfühlsamkeit nochmals deutlich erhöht. Ein Beispiel: Für die Schorndorfer Männergruppe bekommen 150 Empfänger fünf Tage zuvor die Einladung per Mail, damit dann tatsächlich zehn oder elf im Stuhlkreis Platz nehmen. Das ist eine Quote unter zehn Prozent. Rechne ich die Männer dazu, die ich persönlich anspreche, die über Flyer, Homepages oder Pressemeldungen davon erfahren, liegt die Quote sogar weit unter einem Prozent.
Soviel Schweigen oder Desinteresse kosten mich emotional sehr viel Kraft. Noch zehrender sind diejenigen, die auch nicht kommen, das aber vermeintlich rechtfertigen mit Sätzen wie „ich habe es nicht geschafft“ oder „ich habe es vergessen.“ Das sagt viel mehr über deren Unvermögen, ihr eigenes Leben zu gestalten – und ihre Vermeidung. Denn ehrlicher (und wertschätzender!) wäre, zu sagen: „Weißt Du, mir fehlt der Mut, mich mit mir und meinen Ängsten und Unzulänglichkeiten auseinanderzusetzen!“
Denn Jammern ist viel einfacher und gesellschaftlich weiter verbreitet als zu handeln und zu verändern. Deshalb sind wir in meiner Wahrnehmung ein Volk erschöpfter Jammerlappen einerseits und militanter Anti-Demokraten andererseits geworden. Schön und vorbildlich ist beides nicht, weshalb mir heute schon bange ist um die nachfolgende Generation. Süchte, Ängste, psychische Erkrankungen und Rechtsradikalismus legen davon eindrucksvoll und erschreckend Zeugnis ab.
Mein Lichtblick sind die Menschen, die meinem Ruf folgen und in meinen Stuhlkreisen ihre Schatten anschauen: Ihre massiven Selbstzweifel; ihre fehlende Selbstliebe; ihren (Selbst-)Hass; ihre toxischen Beziehungen; ihre Süchte und Zwänge etc. Die sich hinterfragen lassen, dass hinter ihrer vermeintlichen Freundlichkeit in Wahrheit die Unfähigkeit zum Konflikt, also Feigheit, und ihre Harmoniesucht liegen, um nur mal zwei Beispiele zu nennen.
Umso schöner sind die Rückmeldungen von Menschen, die beginnen, sich zu verändern. Die bspw. in ihre Männlichkeit gehen, Verantwortung für ihr Handeln übernehmen – und die Konsequenzen tragen. Da sind Paare, die wieder miteinander in Beziehung kommen; Väter und Söhne, die sich endlich etwas zu sagen haben; Menschen, die ihre Gefallsucht beenden oder ihre Alkoholsucht u.v.m. So wird das Leben schöner und die Welt wieder zu einem liebenswerten Ort. Denn das wahre Abenteuer liegt nicht im Außen, sondern im Inneren. Als „Reiseweltmeister“ sind wir Deutschen ständig auf der Flucht statt CO2-neutral und in geschützten Räumen nach innen zu schauen. Für all die Heilung, Verbundenheit und Gemeinschaft, die dort erlebbar ist, mache ich weiter – beharrlich und geduldig. Kommst Du mit?