Ein Essay in der Süddeutschen hat jüngst sehr gut meine Befindlichkeit auf den Punkt gebracht. Der Grund: Autor Jan Stremmel dachte ebenso wie ich die Klimaaktivisten zusammen mit der Fußball-Nationalmannschaft, weil es bei beiden Themen um Zivilcourage bis hin zu zivilem Ungehorsam ging. Kapitän Manuel Neuer und der DFB hatten beschlossen, aus Protest gegen die Homophobie in Katar beim Spiel gegen Spanien wenigstens eine „One-Love-Armbinde“ zu tragen.
Als die FIFA dies verbot, knickten die Verantwortlichen ein – statt das Verbot zu ignorieren, zum Spiel nicht anzutreten oder gleich abzureisen. Das hätte auch anderen westeuropäischen Verbänden gut zu Gesicht gestanden und wäre mal ein richtig starkes Signal aus der Branche gewesen, in der Milliarden Euro verdient werden und sämtliche Akteure mehrfache Millionäre sind. Sie hätten locker sämtliche Strafgelder zahlen und Sanktionen tragen können. Im Gegenteil: Sponsoren wie Rewe wäre der Protest vermutlich Extrazahlungen wertgewesen.
Doch für so viel Courage, die ins persönliche Risiko geführt hätte, hat es bei den Edelkickern nicht gereicht. Immerhin hielten sie sich auf dem Mannschaftsfoto vor dem Spiel gegen Spanien die Münder zu. Ausgestrahlt wurde die Szene aber nicht, weil das staatliche Fernsehen und die FIFA diese Bilder zensierten. Und auch die Öffentlichkeit goutierte weithin, „mehr“ sei nun mal nicht möglich gewesen. Wirklich?
Währenddessen sitzen allein in München aktuell 21 Klimaaktivisten in Haft, weil sie sich an Straßenkreuzungen auf dem Asphalt festgeklebt hatten. Und in Berlin drohen Protestierern Millionenforderungen an Schadensersatz, weil sie sich auf der Startbahn des Flughafens fixiert hatten. Diese Studenten, Mütter und Arbeiter meinen es ernst mit ihren Werten und Überzeugungen: Sie wollen den Druck auf die Regierungen und Bürger erhöhen, mehr und entschlossener für die Pariser Klimaziele einzutreten. Denn faktisch wird aktuell mehr CO2 global emittiert als noch vor Jahren. Das bedroht nicht nur Schwule und Transsexuelle, sondern die gesamte Menschheit.
Während die breite Öffentlichkeit, Politiker und Medien den Fußballern Respekt zollten für ihr Bemühen, verschärft sich der Ton gegen die „Letzte Generation“, „Extinction Rebellion“ und andere militante Umweltschutzgruppen seit Wochen. Journalist Stremmel übt zudem Kritik an seiner Branche, die nicht differenziere, sondern polemisiere. So würden nicht wertvolle Gemälde und einmalige Zeugnisse der Kulturgeschichte mit Kartoffelpüree oder Tomatensoße beworfen, wie es in vielen Nachrichten heißt, sondern lediglich deren Glasscheiben davor. Ein Aspekt, der auch mir bislang nicht präsent war.
Aber wie mir mein gesunder Menschenverstand sagt, dass es angesichts des Hungers oder der massenhaften Femizide in der Welt völlig Wurst ist, wer Fußball-Weltmeister wird, so kommt es mir in Bezug auf Klimakatastrophen und Artensterben letztlich auch nicht auf einen Rembrandt, Monet oder van Gogh mehr oder weniger an. Die Welt hat auch überlebt, dass die Taliban manches Weltkulturerbe in Afghanistan gesprengt haben, das ich wegen Flugverzichts ohnehin nie besucht hätte.
Und wieso empören wir uns so kollektiv über die Klimaaktivisten, die Straßen- und Flugverkehr punktuell lahmlegen, nicht aber über Raser, die Unfälle provozieren, in deren Folge es zu stundenlangen Staus kommt. Weitere Verursacher solcher Blockaden sind greise oder bekiffte Autofahrer, Handynutzer, Alkoholiker, Epileptiker, Gaffer. Ich bin schon in vielen Staus gestanden als ich noch regelmäßig Auto fuhr. Verlogene Scheindebatten, die provozieren, dass schon bald der erste Blockierte sich ertüchtigt fühlt, die Hand eines Festgeklebten von der Straße zu reißen.
Als Christ sehe ich in der „Letzten Generation“ eher Propheten, wie wir sie aus dem Alten Testament kennen. Das waren Stöhrer und Mahner, die die Menschen auf soziale Ungerechtigkeiten, Hurerei oder Gottlosigkeit hinwiesen. Diese Ankläger, Hinterfrager und Provokateure waren damals wie heute unbequem – und schon sie lebten gefährlich. Die Adventszeit ist für mich als Christ die Zeit der „Rufer in der Wüste.“ Danke, ihr Rebellen, dass ihr da seid und mein Gewissen schärft. Die Nationalmannschaft langweilt mich und die Spiele schaue ich ohnehin nicht an.