Rückwirkend zum 1. Januar hat die Stadt Schorndorf die Gewerbesteuer erhöht. Um wie viele Punkte, vermutlich zehn, habe ich mir nicht gemerkt. Die Nachzahlung im Juni betrug für unsere kleine GbR immerhin 1300 Euro. Hinzu kommt, dass mein Agentur-Kollege für seine drei Kindergarten-Kinder (2x zwei und 1x fünf Jahre alt) künftig monatlich 350 Euro (mehr) zahlt, weil der Gemeinderat auch diese Gebührensatzung anpassen will.
Zwei Beispiele, wie eine Kommune nach der Pandemie schaut, wo und wie sie zu Geld kommt. Okay. Und aus Tübingen, wo ich seit 2017 Kredit-finanziert ein Appartement mit knapp 30 Quadratmetern besitze, kam in denselben 14 Tagen, in denen ich von den Schorndorfer Steuer- und Gebührenerhöhungen erfuhr, Post, dass deren Gemeinderat die Grundsteuer dort um 20 Prozent rückwirkend zum 1. Januar erhöht hat.
Es geschieht also Flächen-deckend, dass der Staat dort Geld holt, wo es vermeintlich leicht zu holen ist. Das ist okay, zumal die Grundsteuer dort mein Mieter zahlt und ich ihm erst Wochen zuvor gemailt hatte, ich würde ihm auf Grund der niedrigen Kreditzinsen bis auf Weiteres die Miete nicht erhöhen, zumal ich die ja dann wieder versteuern müsste. Seine Nebenkosten würden wegen CO2-Steuer etc. vermutlich ohnehin in den kommenden Jahren kräftig steigen. An die Grundsteuer hatte ich dabei kaum gedacht. Alles okay soweit.
Nun sitzt aktuell aber mein Steuerberater an meiner Steuererklärung für 2020 und belästigt mich seit Wochen mit Nachfragen, fordert Belege, Erläuterungen und Erklärungen an und nach. Als ich nachfrage, weil mir das doch zu kleinlich und zu unproduktiv für alle Beteiligten erscheint, erklärt er mir bedauernd, er bekäme aktuell „reihenweise“ Steuererklärungen zurück, die nicht detailliert genug seien etc. Seine Erklärung: „Die Finanzämter sind jetzt wohl angewiesen, auch den letzten Cent noch irgendwo zu holen.“
Meine spontane Reaktion: Dann möge mir der Bund doch die Steuern erhöhen, dass ich bspw. pauschal 2000 Euro mehr pro Jahr bezahlen würde, damit diese Gängelung unterbliebe, die ich für alle Beteiligten als unwürdig empfinde und die zutiefst meinem Bild vom mündigen Bürger und Zoon Politicon (griechisch: „politisches Wesen“ der Natur/seiner Bestimmung nach) widerspricht. Denn 2002 habe ich mich auch selbstständig gemacht, um meine Kraft, Lasten für die Allgemeinheit zu tragen und dem Gemeinwesen zu dienen, zu entfalten.
Ich habe damals meinen unkündbaren Arbeitsplatz (für ein schwächeres Mitglied unserer Gesellschaft) geräumt, habe Arbeitsplätze geschaffen, Menschen ausgebildet und befähigt, Dienstleister beauftragt (z.B. meinen Steuerberater, IT-Firma, Graphiker, Caterer etc.) und meine Steuerabgaben vermutlich vervierfacht.
Durch die Pandemie kam unsere Agentur ohne jeden Cent Unterstützung unter deutlich erschwerten Rahmenbedingungen: So haben viele Redaktionen, auf die wir als PR-Berater angewiesen sind, ihre Erreichbarkeit und ihre redaktionellen Umfänge um 70 Prozent reduziert. In der Folge haben wir Mandate verloren, weil wir die gewohnten Ergebnisse nicht mehr liefern konnten. Rechnungen blieben bis heute unbezahlt, weil Kunden das Geld ausging. Wir haben gekämpft, (noch) mehr gearbeitet etc.
Jetzt bin ich 58 Jahre alt, bin müde vom jahrzehntelangen Arbeiten, Kämpfen (auch wochenends, früh morgens, abends, ohne viel Urlaub), Hoffen und Bangen; wohne im schuldenfreien Haus meiner Frau, habe keine finanziellen Verpflichtungen mehr für meine Kinder oder Ex-Ehefrauen und meine Immobilienschulden tilgen sich durch die Miete. Zu meiner Frage, ob ich jetzt nicht mehr Rennradfahren, Spazieren gehen, Lesen und Freunde besuchen sollte etc., wo ich noch halbwegs gesund bin, kommt nun dieses kleinliche Verhalten des Finanzamtes.
Die Folge: Mein Steuerberater muss mir noch mehr Stunden in Rechnung stellen für seinen Aufwand, sämtliche Fragen der Steuerbehörden zu beantworten. Also arbeite ich noch mehr für das „System“ und für die Verwaltung meiner Berufstätigkeit, z.B. Stichwort Datenschutzgrundverordnung, statt als Journalist zu arbeiten, was ich gelernt habe und mir grundsätzlich Freude bereitet. Hinzu kommt, dass der Journalismus immer noch schlechter bezahlt wird, weil deren Auflagen und das Anzeigenaufkommen sinken.
Mehr noch: Weil Zeitungen im Fake-news-Zeitalter immer unwichtiger werden, wird das Recherchieren immer schwieriger, weil potentielle Informanten ihrerseits lieber arbeiten (auch für Datenschutz, Steuern, Arbeitssicherheit, Brandschutz, Produkthaftung etc.) statt mit den Medien zu reden. Vielleicht ist es wirklich Zeit, das Finanzamt von meiner Berufstätigkeit zu entlasten und meine verbleibende Lebenszeit zu genießen, solange es der Klimawandel noch zulässt. Vor diesem Hintergrund hat es nur symbolische Bedeutung, wer am Sonntag die Wahlen gewinnt. Denn der bürokratische Irrsinn geht weiter.