Flott und anregend geschrieben ist „Haymatland – Wie wollen wir zusammenleben?“ Auf 150 Seiten entfaltet die ZDF-Redakteurin Dunja Hayali, die als Tochter irakischer Ärzte in Datteln geboren ist und christliche Wurzeln hat, was ihr zu „Heimat“ einfällt, wie sie mit Hass-Zuschriften und -Kommentaren umgeht und welches Bild sie von einer friedlicheren Welt hat.
Auf Seite 75 schildert die 47-Jährige, die 2020 in Schorndorf mit dem Journalisten-Preis der Palm-Stiftung für ihren Mut ausgezeichnet wurde, wie eine ältere Dame in einem Berliner Hipster-Bistro einen Kaffee bestellen will. Der Kellner, der nur Englisch spricht, ist genervt von der Kundin, die er nicht versteht. Hayali geht dazwischen und herrscht den Engländer an, was er eigentlich glaube, wo er sei.
Die Autorin erzählt das Beispiel, um zu verdeutlichen, wie verdreht viele Situation in unserem Alltag mittlerweile sind: Da seien US-Amerikaner oder Briten so willkommen, das eigene Schulenglisch mal wieder herauszukramen, dass von ihnen niemand erwarte, unsere Sprache zu sprechen. Nicht einmal, wenn sie uns bedienen sollen. Von jedem Syrer, Afghanen oder Gambier aber werde – zu Recht – erwartet, dass sie unsere Sprache lernen.
Besonders gefallen mir die (häufigen) Passagen, in denen Hayali nicht nur beschreibt, sondern in den Angriffsmodus schaltet. Wenn sie etwa schreibt, dass man sich an die vielen Hass-Mails schon gewöhnen könne, wenn sie aber wenigstens in perfektem Deutsch verfasst seien und irgendeine Argumentation beinhalteten, der man halbwegs folgen könne. Dass viele Rechtsradikale, die ihr Vaterland so heraushängen, fett, faul und arbeitslos sind, erspart sie dem geneigten Leser.
2018 hat die engagierte Journalistin damit begonnen, Hetzer, die sie persönlich angehen, zu identifizieren und ihrerseits zu kontaktieren, um ins persönliche Gespräch zu kommen. Das sei oft nicht nur „entwaffnend“ für den Pöbler, sondern münde oft auch in geradezu seelsorgerliche Gespräche, in denen sie sich deren Niederlagen im Leben anhöre und dann besser verstehe, woher die Wut und Aggression kommen. Für dieses Engagement hat ihr die Stadt Schorndorf 2020 den Barbara-Künkelin-Preis verliehen, mit dem politisch mutige Frauen gewürdigt werden.
Feinsinnig ist auch ihre Analyse des Begriffs Heimat sowie ihre Sezessierung der deutschen Sprache rund um die Migranten-Thematik, wenn etwa von „Wirtschaftsflüchtlingen“ oder einer „Flüchtlingsflut“ oder „-welle“ die Rede ist. Dann werde enthumanisiert und abstrahiert, um politische Kampfbegriffe in Stellung zu bringen, mit denen eigene Interessen verteidigt werden. Dunja Hayali, eine wirklich kluge und engagierte Frau. Ich bin dankbar für solche Mitbürgerinnen.