13 Blumhardt-Nachfahren mit Andreas Stoch (r.) und MdL Rainer Hinderer (l.), kirchenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, am Freitag im Landtag. FOTOS: FROMM

Solidarität mit den Arbeitern, offene Grenzen, den Frieden fördern, die Schöpfung bewahren: Das politische Konzept des Bad Boller Pfarrers und Sozialdemokraten Christoph Blumhardt (1842-1919) klingt aktueller denn je. Vorigen Freitag hat die SPD-Landtagsfraktion den Visionär und Brückenbauer in Stuttgart anlässlich seines 100. Todestags geehrt. Unter den 200 Gästen im Landtag waren neben 13 Nachfahren auch SPD-Prominenz aus dem Südwesten, darunter Ex-Innenminister Frieder Birzele aus Göppingen, Ex-Landtagsvizepräsident Alfred Geisel aus Aalen oder Ex-Staatssekretär Rainer Brechtgen aus Schorndorf, sowie etliche verdiente Kommunalpolitiker wie Ernst Birzele aus dem Kreis Göppingen oder Theologen der evangelischen Landeskirche wie Altbischof Eberhardt Renz. Der Göppinger SPD-Landtagsabgeordnete Peter Hofelich ließ sich entschuldigen.

„Blumhardt ist ein Inspirator für unsere heutige SPD,“ betonte der Landes- und Fraktionsvorsitzende der SPD, Andreas Stoch, in seiner Begrüßung. „Nicht Geld und Besitz haben die höchste Bedeutung, sondern das Leben,“ zitierte er den damaligen Inhaber des Bad Boller Kurhauses, der 1899 als Monarchie-Kritiker in die SPD eintrat, für die er ein Jahr später in den königlich-württembergischen Landtag gewählt wurde, dem der Pfarrer bis 1906 angehörte.

Jörg Hübner, bis 2013 Professor für systematische Theologie an der Universität Bochum, porträtierte den Jubilar. Der Direktor der Evangelischen Akademie Bad Boll, der eine Blumhardt-Biographie veröffentlicht hat, ordnete den Visionär, der im Zeitalter der Industrialisierung in Tübingen studierte, theologisch ein: Sein Vater Johann Christoph, der 1852 in Bad Boll das Kurhaus erwarb, hatte als Gemeindepfarrer im Schwarzwald eine Erweckungsbewegung („Jesus ist Sieger!“) gegründet.

Hübner: „Ging es dem Vater um das Heil des Einzelnen, zielte der Sohn auf das Heil der ganzen Welt – in dieser Welt.“ 1888 lernt Blumhardt den katholischen Pfarrer und Naturheilkundler Sebastian Kneipp kennen, der ihn inspiriert. 1890 holt er im Kontext des aufziehenden Nationalismus die Friedensbewegung nach Göppingen, weshalb ihn Konservative für verrückt erklären. Er setzt sich für artgerechte Tierhaltung ein und führt im Kurhaus in Bad Boll vegane Ernährung ein, was er wegen den Protests  der Kurgäste aber wieder aufgibt.

Zwei große Sozialdemokraten des Südwestens: Alfred Geisel (l.) und Frieder Birzele am Freitag im Landtag.

Der Politiker lehnt Zölle ab, weil er gegen territoriale Grenzen ist. In der Landwirtschaft ist er gegen Chemie, die die Rendite der Großgrundbesitzer erhöhen soll und ist stattdessen für Genossenschaften, die den Arbeitern Teilhabe an den Produktionsmitteln und der Wertschöpfung gewähren. In der SPD-Fraktion ist der Bad Boller der Eisenbahnexperte für Trassen und Tarife, damit die Arbeiter preisgünstig und bequem zur Arbeit kommen. Den Religionsunterricht will der Pfarrer zugunsten der Naturwissenschaften reduzieren und von professionellen Lehrern statt von Theologen erteilen lassen. Zudem seien 100 Schüler pro Klasse skandalös.

Mich persönlich freute, bei der Veranstaltung Alfred Geisel zu treffen, den Vater meines Ellwanger Schulfreundes Thomas Geisel, heute OB in Düsseldorf. Der 88-Jährige war 1985 für mich der Grund, als Theologiestudent in die SPD einzutreten. Denn oft, wenn wir als friedensbewegte Atomkraftgegner während der Gymnasialzeit bei Geisels zuhause waren, kam der Vater spät abends aus dem Landtag und diskutierte noch fair und sachlich mit uns. Dabei bekam ich mehr Hintergründe zu Sachverhalten und konnte sozialdemokratische Positionen besser verstehen. Zudem lernte ich über die Familie Aalens OB Ulrich Pfeifle kennen, gleichfalls ein Sozialdemokrat. Und zu meinen Göppinger Zeiten war Frieder Birzele mein Landtagsabgeordneter, gleichermaßen gescheit, fair, fleißig und sozial.

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