Stehen für eine programmatische SPD: Auch Ex-Landes-Innenmister Frieder Birzele (r.) wollte den gleichaltrigen von Weizsäcker hören. FOTO: FROMM

Eine volkswirtschaftliche Sternstunde der Verantwortungsethik haben knapp 80 Zuhörer am Freitag mit dem Ehrenpräsidenten des Club of Rome, Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker, im evangelischen Gemeindehaus von Salach erlebt. Eine Stunde analysierte der 79-jährige Physiker messerscharf die Denkfehler der Neo-Liberalen, die 1990 den Primat der Politik gebrochen hätten, und zeigte Wege aus Klimakrise und Ausrottung der Tierarten auf – durch Selbstbegrenzung. Ich besuchte den Termin auch für die Lokalzeitung NWZ.

„Es schwächt unsere Zivilisation, wenn immer der Schnellste und Billigste gewinnt,“ sagt Ernst Ulrich von Weizsäcker, bis 2018 Co-Präsident des Club of Rome. Sein Vorschlag: Weltweit und pro Kopf eine Berechtigung zur Verschmutzung definieren, die bei Überschreiten mit einer finanziellen Strafe hinterlegt ist und bei der etwa die Europäer ihr Budget bereits weitestgehend erschöpft hätten. Den Effekt beschreibt der Wissenschaftler, der von 1991 bis 2000 Präsident des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt und Energie war: „Die Industrieländer würden den Schwellenländern Zertifikate abkaufen und die würden merken, dass sie mit Effizienz Geld verdienen.“ Denn aktuell werden weltweit 1380 neue Kohlekraftwerke geplant oder gebaut, davon 90 Prozent in Schwellenländern, so der Sozialdemokrat, der für seine Partei dem Bundestag von 1998 bis 2005 angehörte.

Der Einstieg in eine solche CO2-Steuer könne bei 50 Euro je Tonne liegen und „rasch auf 200 Euro steigen“. Dass das der Wirtschaft schade, sei ein Märchen, so der Sohn des Atomphysikers Carl Friedrich von Weizsäcker, der Bruder des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (CDU) war. China habe in seinem Fünf-Jahres-Plan hinterlegt, dass die Energiekosten jährlich um den Prozentsatz steigen, um den die Energieeffizienz zunimmt. Der 79-Jährige: „So hält das Reich der Mitte seine Dynamik hoch, während wir weltweit mit jährlich 800 Milliarden Euro die Energiekosten subventionieren.“

Eines seiner Beispiele: Erdbeer-Joghurt werde tausende Kilometer per Lkw durch Europa gefahren, weil Transport billig und der deutsche Molkereiarbeiter teuer sei. Seine These: Energie werde um den Faktor fünf effizienter genutzt, wenn ihr Preis real ist. Das belegten neben dem Joghurt die LED, das Passivhaus, der Schienenverkehr oder das Car-Sharing. Japan habe in der Ölkrise 1973 seine Benzinpreise verdoppelt und als Konsequenz das weltweit beste und schnellste Schienennetz bekommen.

Denselben Effekt erlebten die Europäer in der Industrialisierung ab 1850, so der Referent aus Emmendingen: In dem Maß wie die Löhne teurer geworden seien, sei die Produktivität gestiegen, weil die Arbeitgeber ihre Arbeitskräfte sinnvoller einsetzten. 1950 bis 1990 sei das „goldene Zeitalter der Demokratie“ gewesen. In diesen vier Dekaden habe die Politik den Rahmen gesetzt, etwa soziale Marktwirtschaft und Bildung für alle, so von Weizsäcker. Mit dem Ende des Kalten Kriegs 1989 hätten viele geglaubt, die Billionenbeträge, die man nun nicht mehr für Waffen und Abschreckung in Ost und West brauche, könnten als „Friedensdividende“ in den Umweltschutz und den Kampf gegen Hunger fließen.

Tatsächlich aber hätte im Kontext der Globalisierung das Kapital die Macht von der Politik übernommen und die „Friedensdividende in Form von Steuererleichterungen verpulvert.“ Dabei zitierten die Neo-Liberalen ihre vermeintlichen Vordenker permanent falsch: Für Adam Smith (Egoismus fördert das Gemeinwohl) seien aber Markt und Recht identisch gewesen; für David Ricardo (von Handel profitieren beide Seiten) sei Kapital immer lokal geblieben und nur die Ware ist global; und für Charles Darwin (der Bessere setzt sich durch) erfolgte Ausdifferenzierung innerhalb einer Spezies, gerade weil sie keine externe Konkurrenz hat.

Von Weizsäckers Folgerung: Die „neue Aufklärung“ braucht die Balance zwischen Mensch und Natur, lang- und kurzfristig, Staat und Markt, Leistung und Fairness, Innovation und Bewährtem. Extreme seien keine Lösung. So sei der Kommunismus untergegangen, weil er die Ökonomie negiert habe. Der Kapitalismus scheitere an der Ökologie. Ehe von Weizsäcker per Bahn weiter musste, diskutierte er mit den Zuhörern. Da wollte Martin Hollnaicher vom BUND wissen, wie der Physiker dazu steht, dass sich die Bevölkerung Afrikas binnen 100 Jahren bis 2050 auf 2,5 Milliarden Menschen verzehnfacht.

Einem anderen antworte der Gast, dass bei SPD und Grünen alle seine Positionen teilten, bei FDP und CDU nur ein Drittel, darunter aber Kanzlerin Angela Merkel. Auch der Flächenfrass im Kreis Göppingen für Wohnen und Gewerbe, ausgewiesen sind 700 Hektar, beschäftigt die Bürger, während „halb Görlitz leersteht.“ Von Weizsäcker betonte, er sei kein Kommunalpolitiker, ließ aber durchblicken, dass er für mehr staatliche Lenkung, Stichworte Leerstandssteuer und Binnenverdichtung, steht.

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