Sympathisch: Felix Huby (l.) nimmt sich nach der Lesung Zeit für jeden Besucher und freut sich dann, dass ich noch ein Bier mit ihm trinken möchte. FOTO: FROMM

Eine Sternstunde der Zeitgeschichte habe ich gestern Abend mit dem 80-jährigen Felix Huby erlebt, der in der Schorndorfer Manufaktur aus seinem semi-biographischen Roman „Spiegeljahre“ las. Rund 50 Zuhörer, darunter der ergraute Bauleiter, der für den RAF-Prozess die Justizvollzugsanstalt Stammheim errichtete, liesen sich mitnehmen in die politisierten 1970er-Jahre, in denen Eberhard Hungerbühler, wie der Autor bürgerlich heißt, über den Widerstand gegen das geplante Kernkraftwerk Wyhl, besagte Rote Armee Fraktion (RAF) oder Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU) und dessen Vergangenheit als unbelehrbarer NS-Marine-Kriegsrichter für den Spiegel berichtete.

Seit neuestem Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde Dettenhausen, las Huby mehrere Sequenzen aus seinem im September erschienen Roman, der die Trilogie „Heimatjahre“ (Kindheit), „Lehrjahre“ (als Jungredakteur der Südwest Presse in der Außenredaktion Blaubeuren) und eben „Spiegeljahre“ beschließt. Dazwischen gab er je eine kurze Hinführung zum Kontext, den er teils mit launigen Kommentaren anreicherte. Unter dem überwiegend älteren Publikum herrschte knisternde Stille, teils gepaart mit Kopfnicken oder Seufzern, das die sogenannte bleierne Zeit als junge Zeitzeugen, linke Sympathisanten oder aktive Protestler miterlebt hat.

Mich hat vor allem fasziniert, den Mann zu erleben, der mir einst als journalistisches Vorbild galt, der mit der Studentin Gudrun Ensslin vor ihrer Radikalisierung in einer Tübinger Kneipe  diskutierte oder der dem selbstgerechten Filbinger im Exklusivinterview noch eine goldene Brücke bauen wollte, die ihm ermöglicht hätte, mit einem Bedauern seiner NS-Aktivitäten im Amt zu bleiben. Auch war es mir ein Bedürfnis, ein Schwergewicht meiner Zunft zu erleben, das noch ohne Internet, Handy, Facebook & Co. an der Schreibmaschine mit Festnetzanschluss und Wählscheibe seinen Beitrag leistete, das prosperierende Nachkriegsdeutschland in der inneren Haltung seiner Bürger zu demokratisieren.

Denn da wäre ich gerne schon dabei gewesen. Immerhin erkenne ich in „Lehrjahre“ viele Parallelen zu meinen Anfangsjahren als Alleinredakteur in den 1990er-Jahren in Ellwangen, verantwortlich für elf Kommunen, wo noch viele Provinzfürsten, meist „parteilose“ Bürgermeister und einflussreiche Unternehmer, meinten, mir vorschreiben zu können, was wie in der Zeitung steht – und was nicht. Es hat mir Spaß gemacht, mit 28 Jahren schon so wichtig sein zu dürfen, habe zugleich aber auch die Verantwortung gespürt, sorgfältig, klug, fair, mutig und professionell sein zu müssen. Hungerbühler alias Huby hatte diese Chance mangels Studium bereits als 20-Jähriger – und deutlich unmittelbarer nach dem Zweiten Weltkrieg, weshalb – wie Filbinger – noch viele alte Nazi-Größen mit ihrer Denke und ihren Netzwerken an einflussreichen Stellen saßen.

Umso mehr war es mir eine Freude, mit dem 80-Jährigen nach seiner Lesung noch auf ein Bier in der Manu-Kneipe zu sitzen und mehr von ihm zu erfahren. So hat der Schöpfer von Schwabenkommissar Bienzle, den ich als Dietz-Werner Steck auch mal interviewt habe, wohl die ersten 200 Drehbücher von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ geschrieben, für die er eine australische Vorlage nutzen konnte. Und schließlich durfte ich den großen, alten Mann, der seit 1990 in Berlin lebt und täglich Rad fährt, Kraftsport macht und weiter Stücke schreibt, exklusiv zu Fuß zu seinem Hotel in der Schorndorfer Innenstadt bringen. Danke, Felix Huby.

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