Das Lachen blieb mir im Hals stecken als ich am Dienstag von „Die Anstalt“ das Desaster um die Bahnhof-Tieferlegung in Stuttgart mit all ihren Hintergründen, Widersprüchen, Risiken und Kostenüberschreitungen komprimiert serviert bekam. Anlass war vermutlich die 450. Montagsdemonstration, die am Tag zuvor stattgefunden hatte. Ich selbst war übrigens bei der 100. zuletzt dabei und bin seither eher genervt, wenn ich montags zufällig in meiner Mobilität eingeschränkt bin durch die Demonstranten. Zumal die Arbeiten mittlerweile dermaßen fortgeschritten sind, dass ein Stopp vermutlich nichts mehr brächte.
Aber die Demos und das Erinnern im ZDF an die Anfänge und die Konstellation einer Schwaben- und CDU-Connection von Matthias Wissmann als Verkehrsminister über Heinz Dürr als Bahnvorstand und Erwin Teufel als Ministerpräsident, um nur einige zu nennen, ist wichtig, um aus dem Polit-Irrsinn und Machbarkeitswahn zu lernen. Längst vergessen ist der damalige Immobilienmogul Rudi Häussler, der als cleverer und schaffiger Service-Partner von Daimler zum Milliardär aufstieg, das Rad überdrehte und später insolvent ging. Macher und Schaffer wie er rechneten vor, das Milliardenprojekt S21 rechne sich allein durch die Grundstückserlöse und die Synergien aus dem Bau und dessen Vorteilen.
Im Kontext von 25 Jahren Bahnreform dröselten Claus von Wagner und Max Uthoff in einem Münchner TV-Studio an einem S21-Modell auf, wie der Sack- zum Durchgangsbahnhof wird, weshalb die Zahl der 16 Gleise auf acht halbiert wird, was als zu wenig gilt; die kritische Neigung der Bahnsteiggleise, der fehlende Brandschutz oder das gefährliche Bauen im quellfähigen Anhydritgestein. Und dass all diese Risiken stets aus Kreisen der Kritiker kamen und kommen, die Experten vortragen, und auf die Bahn und Behörden immer mit Beruhigung und Dementi reagieren. Tags darauf berichtete die Stuttgarter Zeitung über den TV-Beitrag, ließ aber leider weg, dass auch ihre Medienberichterstattung im Kontext der Schwaben-Connection massiv und namentlich kritisiert wurde. Schade. Diese Blöße hätte ich mir als Redaktionsleiter nicht gegeben – aber deshalb bin ich das auch nie geworden und musste mich statt dessen selbstständig machen, um verantwortlich zu arbeiten.
Grandios der Schlussmonolog von Uta Köbernick, in dem sie den S21-Widerstand reflektiert, der auch in 450 Demos trotz aller fundierter Kritik auch an Kostensteigerungen, Terminverzögerungen etc. nichts erreicht habe – und deshalb weitergeführt werden müsse. Wie Salz in eine Wunde reibt sie mit ihrem Kehrvers „und ihr habt noch nichts erreicht“ den Sinn dieser wöchentlichen Versammlungen ins Bewusstsein: Dass nämlich genau deshalb der Protest weitergehen müsse, weil er Druck auf Politiker und Strippenzieher im Hintergrund ausübt, wie die „Gelbwesten“ neuerdings in Paris und ganz Frankreich es auch tun. Oder die „Dieselfreunde“, die neuerdings gegen Fahrverbote in Stuttgart demonstrieren. Angeführt von einem Porsche-Arbeiter und IGMetaller, der nach eigenem Bekunden nicht mehr wählen geht.
Immerhin: S21 hat dazu beigetragen, dass Baden-Württemberg seit 2011 einen grünen Ministerpräsidenten hat. Den ersten und einzigen bundesweit. Und der Porsche-Mann, der Beifall von der AfD erhält, ist ein Symbol für den Niedergang der SPD, deren Profil auch bei S21 nicht erkennbar war, sondern einma mehr Erfüllungsgehilfe der CDU, der hechelnd nach Anerkennung dafür lechzt, dass auch er betriebswirtschasftlich denken kann. Honoriert wird der SPD aber nur, wenn sie wieder volkswirtschaftlich denkt. Ist das denn so schwer zu verinnerlichen?