Kennt den Fahrplan für den Atomausstieg: Dr. Peter Hocke. FOTO: FROMM

Wenn Deutschland ein atomares Endlager finden will, muss es in einen intensiven Bürgerdialog treten, um die erforderliche Akzeptanz zu erhalten. Dessen ist sich Dr. Peter Hocke sicher. Der Projektleiter Nukleare Entsorgung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat am Donnerstag beim SPD-Ortsverein Schorndorf über den Atomausstieg referiert.

Selbstbewusst und trotzig startete der SPD-Ortsverein im kleinen Saal der Stadthalle mit gut 30 Zuhörern nach der verlorenen Bundestagswahl einen Bürgerdialog. Weitere Vorträge zu gesellschaftsrelevanten Themen sollen folgen, bei denen die Sozialdemokraten mit Bürgern ins Gespräch kommen und Politik in das Stadtleben tragen wollen.

Mit Hocke, der im öffentlichen Auftrag ein interdisziplinäres Team leitet, das sich mit den nicht gewollten Folgen von Technik befasst, stand einer von bundesweit sieben ausgewiesenen Experten am Katheder – der zufällig in Schorndorf wohnt. So forscht sein Team auch etwa über die Risiken von Individualhelikoptern oder hat eine viel beachtete Studie publiziert, die den mehrtägigen, großflächigen Stromausfall in Deutschland simuliert hat.

„Die radioaktiven Brennelemente müssen für mindestens eine Million Jahre absolut sicher gelagert werden“, bringt Hocke die Herausforderung für die Politik auf den Punkt. Für Geologen, die in noch weit längeren Zeiträumen forschen, sei das kein Problem, so der Referent, der die vielen wissenschaftlichen Einzeldiszipline koordiniert und moderiert, darunter auch Physiker, Mediziner oder Verfahrenstechniker.

Neben der technischen Komplexität sei vor allem die soziale Komplexität relevant, „weil niemand ein solches Endlager bei sich will.“ Die Anti-Atomkraftbewegung habe sich über die Jahrzehnte gut organisiert und international vernetzt und sei heute jederzeit mobilisierbar. Das Thema berge so viel sozialen Sprengstoff in sich, dass es jederzeit „bürgerkriegsähnliche Zustände“ auslöse, wie Gorleben oder Wackersdorf belegten.

Aktuell gibt es vier Entsorgungsanlagen in niedersächsischen (Salz-)Bergwerken bzw. im grenznahen Moorsleben auf früherer DDR-Seite. Aus dem Schacht Asse seien 126.000 gelbe Atommüll-Fässer wieder zurückgeholt worden, weil sie rosteten und die Lagerstätte nicht als sicher gilt. Schacht Konrad sei nur für schwach und mittel radioaktiven Müll vorgesehen und Gorleben für den hoch radioaktiven.

„Weil Politiker immer nur in Legislaturperioden denken, verschiebt das strittige Thema jeder“, gibt Hocke Einblick in die Befindlichkeiten. 2008 sei die Idee entstanden, einen komplett neuen Suchgang zu starten, weil Gorleben „politisch verbrannt war“. Das Neue war nun, dass eine Expertenkommission, die je zur Hälfte aus Bundestagsabgeordneten und kompetenten Bürgern (Experten) bestand, von 2014 bis 2016 den Gesetzesrahmen definierte, und nun die Standortsuche begleitet. Diese hat am 4. September begonnen.

Nun sind bundesweit alle Standorte möglich und Gorleben ist nur eine Option von allen. „Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident hat zugesagt, dass auch sein Bundesland in Frage kommt“, fasst Hocke die Thematik zusammen. Dies zeige, dass Konsens über die Verantwortung bestehe. Frühere CDU-geführte Regierungen hätten den Südwesten dagegen kategorisch ausgenommen.

Mit dem Atomausstieg 2022 stehen nun auch die Mengen fest, die es in Summe schließlich an einem Standort zu endlagern gilt. Aktuell würden Brennelemente noch an den zwölf Reaktorstandorten deponiert. Bis 2031 soll der finale Standort gefunden sein, 2050 dort die Lagerung beginnen und bis 2080 abgeschlossen sein, so der Zeitplan. Weil Obrigheim bereits zurückgebaut wird, würden die dortigen 18 Meter langen und 110 Tonnen schweren Castoren in fünf Transporten mit je drei Containern via Neckar 40 Kilometer flussabwärts nach Neckarwestheim überführt. Der erste Transport hat bereits stattgefunden unter viel Protest anrainender Kommunen, Bürger und Aktivisten sowie entsprechendem Polizeiaufgebot.

Zur Finanzierung haben die vier Energieversorger 32 Mrd. Euro bereitgestellt, die je zur Hälfte für den Rückbau (verantwortet die Industrie) und zur Endlagerung (verantwortet die Politik) verwendet werden. „In beiden Fällen reicht das Geld nicht“, sagt Hocke. Und auch die Schweizer, die bei dem Thema den Deutschen 15 Jahre voraus sind, werden ihren atomaren Müll an der Grenze zu Deutschland endlagern, da deren Geologie in den Alpen sich dafür nicht eignet.

„Ohne eine breite Bürgerbeteiligung oder gar eine Pro-Endlager-Bewegung werden wir die Aufgabe nicht lösen“, ist sich Hocke sicher und stößt bei den Genossen auf offene Ohren. Denn nationale Experten bräuchten lokale Verbündete, die die Akzeptanz für ein Endlager gewährleisten, sobald der geologisch bestmögliche Standort gefunden sei. Dazu zählen radikale Transparenz als Voraussetzung für Vertrauen und genügend Zeit für Information.

Auch einen politischen Kulturwechsel empfiehlt der Referent, der mit seiner Familie lange im Osten gelebt hat, dringend: Die Bürger dürften nicht bevormundet werden „bei den Segnungen“, sondern müssten selbst entscheiden, ob sie als Entschädigung „ein kostenloses Rufbussystem, mehr Kitas oder eine bessere Krankenhausversorgung wollen.“ Die vielen Fragen aus dem Auditorium belegten, dass das Thema gut gewählt war und brachten weitere Informationen.

So braucht die Endlagerung deshalb viel Fläche, weil die Behälter 200 Grad heiß sind und deshalb Abstand zueinander brauchen. Und Hockes Institut bekommt sehr viel internationalen Besuch, weil sich offenbar weltweit die Regierungen auf den Atomausstieg vorbereiten. Der Referatsleiter: „In Planung sind weltweit viele Reaktoren, aber gebaut werden die allerwenigsten.“ Längst gelte Atomkraft nur noch als Brückentechnologie und Deutschland habe das Know-how, die Endlagerung technisch und sozial zu bewältigen.

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