Es mag eine steile These sein, aber der Eurovision Song Contest scheint mir schon deutlich mehr von politisch-taktischen Erwägungen geprägt zu sein, denn von musisch-kreativen Neigungen. Zwar sind Pop und Schlager nicht meine Genre, aber von Musik verstehe ich zumindest soviel, dass die deutschen Beiträge der vergangenen Jahre nicht schlechter waren als viele deutlich besser platzierte aus „Sympathieträger-Nationen“.
Kann es also sein, dass der Wettbewerb jährlich eine günstige Gelegenheit bietet, dem (über-)mächtigen Deutschland, das in Engineering, Exportüberschuss, EU-Politik, Fußball, Pro-Kopf-Einkommen, BSP etc. überall die Nase vorne hat, den Stinkefinger zu zeigen? Dass man unterschwellig assoziiert, die Nazi-Enkel und -Ur-Enkel können doch gar keine schöne Musik machen?
Dass Zypern Griechenland die Höchstpunktzahl gibt und die Griechen den Zyprioten, darauf kann man schon fast wetten. Die Ukraine gibt den Weissrussen zwölf Punke, egal wer singt. Und die Australier machen es mit dem Mutterland des Commenwealth ebenso. Und die Schweizer und Österreicher mit ihrem Minderwertigkeitskomplex gegenüber Deutschland können dagegen nach dieser Logik gar keine Punkte vergeben.
Und warum vergibt Irland als einzige von 42 (!!!) Nationen-Jurys überhaupt Punkte an den deutschen Song von Levina und dann auch noch gleich drei? Kann das mit den Waffenlieferungen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg an die katholischen Iren zusammenhängen, die dadurch britisches Militär banden? Ich fände spannend, hinter all dem Glamour und der vermeintlichen Leichtigkeit mal die nationalen Traumata anzuschauen.
Respekt für die Souveränität, mit der Deutschland immer wieder Sänger in den Wettbewerb schickt. Dieser Sportsgeist gefällt mir. Oder ist das am Ende auch nur ein Trauma, von den Nachbarn in Europa und der Welt endlich geliebt werden zu wollen? Mich erinnert das Gegockele des Wettbewerbs mehr an spielerisch getünchten Revanchismus.