Die Fortschritte im Lebensmittelanbau sind in der Region Turkana im Nordwesten des (sub-)tropischen Kenias messbar. Die Region, in der laut Wikipedia rund 340.000 Turkana leben, die Nilotisch sprechen, verdankt ihren Namen einem sehr großen See. Wegen einer Trockenheit seit 2020 ist dessen Volumen aber mächtig gesunken und sämtliche Flüsse nahezu versandet. Diesen Dienstag, am 60. Jahrestag der Unabhängigkeit Kenias von Großbritannien, stellte Helmut Hess im Martin-Luther-Haus in Schorndorf Interessierten diese Region und deren Eigeninitiative vor.
Der 81-Jährige ist Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde, die seit Jahren eine Partnerschaft mit einer anglikanischen Kirchengemeinde in Kitale, das in der Region Turkana liegt, pflegt. Bis zu seinem Ruhestand war der Referent Projektleiter bei „Brot für die Welt“, dem Entwicklungswerk der Evangelischen Kirchen Deutschlands, das 2022 mit 320 Mio. Euro 1800 Projekte in 80 Ländern finanzierte. Davon stammten 65 Mio. Euro aus Spenden und Kollekten, zu denen die Berliner Organisation traditionell im Advent aufruft.
Kenia umfasst 1,6 Mal die Größe Deutschlands. Dort leben 50 Millionen Menschen, die 40 verschiedenen Volksgruppen mit je eigenen Dialekten angehören. Die Turkana gehören mit 2,6 Prozent Bevölkerungsanteil zu den kleineren Gruppen. 86 Prozent der Bevölkerung sind Christen, vor allem Anglikaner (16 Mio.) und Katholiken (10 Mio.). Während nur ein Fünftel der Flächen landwirtschaftlich nutzbar sind, arbeitet mehr als die Hälfte der Menschen im Agrarbereich. Laut Wikipedia beträgt die Arbeitslosigkeit aktuell zehn Prozent, die Inflation rund 25 Prozent.
Da Hess, Stadtpfarrerin Dorothee Eisrich und andere bereits dreimal in Kitale zu Gast waren, sahen sie in den vergangenen Jahren die verheerenden Auswirkungen von Dürre und Heuschreckenplagen. Der Referent: „Teils verfeindete Gruppen müssen sich nun an den wenigen Wasserstellen mit Trinkwasser bevorraten und ihre übriggebliebenen Ziegen und Kamele dort tränken.“ Kühe, Esel und andere Nutztiere seien längst verendet, weil nicht mehr genug Pflanzen wachsen. Die Menschen würden von „Brot für die Welt“ mit Nahrungshilfen versorgt, damit sie nicht in die Slums im Süden Kenias abwanderten.
Das fruchtbare Land im Süden Turkanas, in den Nandi Hills, besäßen weitgehend Plantagenbesitzer, die dort Tee und Kaffee für den Export anbauen. Den Einheimischen blieben nur Tagelöhnerjobs für 1,50 bis drei Euro am Tag, was zu wenig sei für ein auskömmliches Leben. „Brot für die Welt“ habe für bislang 400.000 Euro ein Projekt gefördert, mit dem die Anwohner nun die erodierten Hänge der Berge terrassieren, um hier auf mehreren Etagen Bäume zu pflanzen, Gemüse und Getreide anzubauen.
Hess: „Diese Arbeit ist sehr anstrengend, aber diese Anbauflächen macht den Dorfbewohnern niemand streitig.“ Rund 80.000 Menschen seien in das Projekt involviert, von dem man hofft, dass sich dessen Vorbildcharakter weitererzählt und in Nachbar-Distrikten kopiert wird. 200.000 Setzlinge für Bäume seien in den vergangenen drei Jahren gezogen und gepflanzt worden. Diese Arbeit sei langwierig, aber vor allem die Frauen zögen gut mit, um die Lebensgrundlagen für sich und ihre Kinder zu verbessern.
So sind diese Bäume – wie die Terrassen – wichtig, um das Regenwasser zu halten, das aktuell endlich wieder niedergehe. Deren Laub bilde später wichtigen Humus für die Böden und deren Früchte können verzehrt und gehandelt werden. Der Referent: „Erste Familien besitzen auch wieder eine Kuh, die Kälber bekommt und Milch gibt.“ Wo die Familien mitzögen, seien die Tische wieder reicher gedeckt, die Armut schwinde und die Erfolge würden gefeiert.
Die Spendengelder flossen in erster Linie in die Bezahlung einheimischer Experten und deren Mobilität, die die Dorfgemeinschaften fachlich beraten und sozial und kommunikativ stärken. Hess gibt ein Beispiel: „Traditionell haben die Männer das Sagen, aber die Frauen sind viel stärker für Veränderungen offen.“ So verschöben sich die patriarchalischen Strukturen hin zu partnerschaftlichen, wo Männer und Frauen kooperieren. Der Referent: „Statt sich als Tagelöhner zu verdingen, arbeiten immer mehr Männer in den terrassierten Ackerflächen und beim Bäume pflanzen mit, weil das ertragreicher für sie ist.“
Auch gebe es „table banking“, bei dem Frauen umgerechnet ein bis maximal sechs Euro auf den Tisch legen. Dann werde besprochen, welche Frau oder welche Familie den zinslosen Kredit bekomme, um eine Zisterne zu bauen oder eine Kuh zu kaufen. So profitieren mittelfristig alle vom Fortschritt, weil auch Handel und Dienstleistungen wieder in Gang kommen. Ein großes Problem im Land sei die Korruption, die durch das solidarische Wirtschaften aber keinen Nährboden mehr finde. Kritisch ist auch das Engagement Chinas, das massiv in die Infrastruktur des Landes investiert, dafür aber hohe Abgaben verlangt und die Republik in seine Abhängigkeit zwängt.