Vierfache Mutter kleiner Kinder, herzkranker Ehemann, Umweltministerin von Rheinland-Pfalz, Spitzenkandidaten der Grünen im Bundestagswahlkampf in ihrem Bundesland – und schließlich Familienministerin in der neuen rot-grün-gelben Bundesregierung: Anne Spiegel muss wohl ziemlich ehrgeizig gewesen sein. Und das auch noch nach ihrem Faux-pas im vergangenen Sommer, als sie – zehn Tage nach der Flutkatastrophe im Ahrtal mit vielen Toten – einen vierwöchigen (!!!) Familienurlaub in Südfrankreich antrat.
Entweder war die 41-Jährige damals schon so erschöpft und verzweifelt, dass sie auf die Spitzenkandidatur im Wahlkampf im Herbst und auf das Amt als Bundesfamilienministerin hätte verzichten müssen oder sie war wirklich so naiv, egoistisch und ohne jeden politischen Instinkt, dass sie die Diskrepanz nicht bemerkte. Hatte sie da übrigens keine Berater (oder Ausbremser)?
Nach dieser Addition von Fehlentscheidungen und dem Überschreiten mehrerer roter Linien noch nach dem Amt der Familienministerin zu greifen, das zeugt für mich von extremer Ignoranz, großer Eitelkeit oder einem sehr ungesunden Ehrgeiz, der verblendet. Klar passte sie offenbar als Frau, Linke und Pfälzerin in den Quoten-Proporz ihrer Partei, aber auch da wurden m.E. massiv Fehler gemacht oder zu laut geschwiegen.
Und schließlich: Zu glauben, man könne so viele Fehltritte geheim halten, notfalls ergänzend lügen, derlei Angriffe von Medien und Opposition aussitzen oder schließlich rechtfertigen wie sie es am Sonntagabend noch mit ihrer persönlichen Erklärung versuchte, zeugt nochmals davon, dass die Frau zwar attraktiv sein mag und auch genügend links, aber keinesfalls geeignet für ein solches Amt.
Ihr Rücktritt ist richtig und kommt leider zu spät. Als guter PR-Berater hätte ich ihr in jeder Phase ihres (Nicht-)Handels sagen können, was als Nächstes passiert. Ich hätte ihr auch zu bedenken gegeben, dass manche für sie katastrophale Information durch frustrierte „Parteifreunde“ oder gekränkte Büromitarbeiter an die Öffentlichkeit kommen können. Selbst das Beispiel der Parteifreundin Annalena Baerbock, die als Spitzenkandidatin kaum ein Jahr zuvor binnen Tagen nahezu zertrümmert worden war, hatte bei Anne Spiegel offenbar keinerlei Lerneffekt ausgelöst.
Wozu diese leichtgewichtige Politikerin, die sich, ihrer Familie, ihrer Partei und der Regierung massiv geschadet hat, schließlich dient: Zu einer Diskussion über die Vereinbarkeit von Familie und (Spitzen-)Politik, die wir tatsächlich endlich führen sollten. Weil man Anne Spiegel offenbar für naiv hält, sind bei ihr nun alle betroffen. Hätte ein Mann so gehandelt, hätte er als „machtgierig“ und „eiskalt“ gegolten. Auch da wird auf Grund des Geschlechts mit zweierlei Maß gemessen.
Da gefällt mir die Außenministerin von derselben Partei, die offenbar Nerven wie Drahtseile hat, so dass sie aus dem Dauerstolpern über Monate voriges Jahr wieder massiv Tritt gefasst hat und heute souveräner (und bescheidener) wirkt denn je: Sie kann direkt vom Geburtstag ihrer Kinder kommen und Wladimir Putin danach Paroli bieten. Und sie kann beim Pressetermin mit ukrainischen Flüchtlingskindern auf Augenhöhe basteln und anschließend dem zögerlichen SPD-Kanzler Feuer unter den Hintern machen, damit die ukrainische Armee endlich schwere Waffen von Deutschland erhält.
Welcher Zynismus, Panzer und Raketen zurückzuhalten mit dem Argument, wir bräuchten sie selbst im Kontext unserer Bündnistreue zur Nato. Aller-, allerspätestens am 24. Februar hätten die stillgelegten Leopard I einsatzbereit gemacht werden müssen und ukrainische Soldaten daran in Deutschland geschult. Wir machen uns weltweit dermaßen lächerlich mit unserer Zögerlichkeit. Dabei haben auch uns nur Waffen und Soldaten von der Diktatur Adolf Hitlers befreit.
Was mich aber nun die „Spiegel-Affäre“ lehrt: Wenn unsere Politiker mit diesem parteiinternen Proporzhandeln nicht endlich aufhören, bei dem zu viel nach Kategorien von Mann-Frau, Links-Rechts, Nord-Süd, Ost-West, katholisch-evangelisch und weiß Gott was noch alles Ämter besetzt werden, sinkt die Wahlbeteiligung noch weiter. Das stärkt die patriarchalische und monokulturelle AfD, die nur deutsche Männer (und eiskalte Frauen) kennt. Im konkreten Fall wäre dann halt der Bayer Anton Hofreiter Familienminister geworden. Ist auch grün, links – und kompetent.