Kompetenz und Respekt braucht es beim „sanften“ Führen mehr denn je.

Agiles Management, new work oder lockerer Dresscode sind Floskeln, die hierarchiefrei Nähe am Arbeitsplatz suggerieren. Doch da wahre Veränderung nicht durch Äußerlichkeiten in der Kleidung oder durch neue Begrifflichkeiten kommt, sondern durch eine klare Haltung von innen, ist in der Arbeitswelt Vorsicht geboten. Chefs, die jetzt so tun als ob sie kollegial wären, sind gefährlicher als Vorgesetzte vom alten Schlag.

Und faule Mitarbeiter, die man schon bislang kaum zu fassen bekam, können sich in manchen Arbeitsplatzkulturen jetzt noch dreister zurücklehnen als schon bislang. Gefragt sind Persönlichkeit und Authentizität jedes Einzelnen. Das aber erfordert hartes Training, klares Feedback und einiges mehr. Kathrin Werner hat in der Samstagsausgabe der Süddeutschen dem Thema ein treffendes Essay gewidmet.

Traditionell verstand man demnach unter „professionell“ korrekte Kleidung und andere Insignien der Macht, starke Führung und hohe Erreichbarkeit. Heute bedeutet „professionell“, dass der Chef empathisch ist, Schwäche zeigt und mehr zuhört als selbst zu reden. Damit sei er Vorbild, dass auch der Mitarbeiter sich öffnet, laut denkt und kommuniziert, was er fühlt. Autorin Werner relativiert aber „Professionalität“ – der Betreffende weiß, was er tut; ist kompetent und hat natürliche Autorität, ohne autoritär zu sein.

Diese Kompetenz setzt Berufs- und Lebenserfahrung voraus und begünstigt, andere fördern und befähigen zu können. Das Soziale, das schon immer wichtig war, gewinnt nun an Bedeutung. So hat der erfolgreiche Chef kein Problem damit, dass andere an ihm vorbeiziehen und Mitarbeiter Dinge besser können als er selbst. Im Gegenteil: Er freut sich an deren Potenzial – und nutzt es auch zu seinen Gunsten.

Und doch beschreibt die Autorin, dass immer Klärungsbedarf bleibt: Wie ziehe ich mich an, wenn es keinen Dresscode mehr gibt? Wie oft komme ich ins Büro, wenn Homeoffice generell erlaubt ist? Wie direkt und ehrlich kommuniziere ich in Besprechungen, wenn Echtheit erwünscht ist? Wie viel zeige ich von meinem Privatleben den Kollegen? Und welchen sozialen Druck dazu spüre ich? Es ist also ein Trugschluss zu glauben, es gäbe keine Konventionen mehr. Im Gegenteil: Die Regeln werden subtiler und intuitiver.

Meine Einladung, da ich ja selbst an genau solchen Schnittstellen als Teamentwickler und Führungskräftecoach in Firmen arbeite: Diese Regeln von Zeit zu Zeit im Team reflektieren; um Feedback der Kollegen bitten, wie sie meine Kommunikation wahrnehmen, meine Teamfähigkeit, mein Engagement und meine Balance zwischen Nähe und Distanz. Da gibt es nämlich kein „richtig“ und kein „falsch“, aber jede Menge Punkte, miteinander ins Gespräch zu kommen und ein Gefühl füreinander zu bekommen.

Umso spannender wird das Thema, je inhomogener das Team wird, weil es verschiedene Generationen umfasst, Männer und Frauen, Extrovertierte und Introvertierte, Einheimische und Migranten, Menschen mit und ohne physische Handicaps u.v.m. Dort hilft uns nur immer wieder der Austausch über Irritationen. So sprach jüngst ein Migrant stets leise, was die Verständigung erschwerte. Er sprach leise aus Sorge, sein Deutsch sei nicht gut genug.

Das Mißverständnis war in Minuten geklärt und seid der Mann laut spricht, wird er gut verstanden; Kollegen reden mehr mit ihm und sein Deutsch verfeinert sich in Grammatik und Vokabular.  Wichtigste Ressource für Professionalität bei der Arbeit sind Respekt und Wertschätzung.

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