Ich gebe zu, als 58-jähriger Geisteswissenschaftler stehe ich den digitalen Kommunikationsformen seit deren Aufkommen vor 30 Jahren kritisch gegenüber. Weil ich aber zugleich akzeptiere, dass Lernen ein lebenslanger Prozess ist, befasse ich mich doch immer wieder mit den modernen Möglichkeiten der Kommunikation. Und zwar nicht nur theoretisch.
So schreibe ich seit 2007 diesen Blog mit der Kontinuität eines Marathonläufers, denn Selbstdisziplin ist mir als Selbstständiger vertraut und eine wertvolle Ressource. Dabei schwanken meine Zugriffszahlen seither zwischen 15 und 400 Lesern pro Tag, auch abhängig davon, wie spektakulär meine Themen sind. Neue Kunden habe ich durch meinen Blog in 14 Jahren noch keine gewonnen.
Vor ähnlich langer Zeit habe ich mir ein Xing-Profil zugelegt, weil es damals hieß, man finde bald nicht mehr statt, wenn man hier nicht sichtbar sei. So habe ich mich dort brav mit Erfolgreichen vernetzt, deren E-Mail-Adresse und Handynummer ich ohnehin längst schon hatte. Und sie von mir. Und alle neuen Profile, die mich kontaktierten, taugten am Ende nicht, weil die Personen letztlich Blender waren. Und Zeit hatten, auf Xing zu stöbern, weil sie sonst nichts zu tun hatten.
2014 haben wir sogar das Online-Portal Die Pflegebibel gegründet und waren dort binnen zweier Jahre mit bis zu 30.000 Altenpflegerinnen, die uns täglich kostenlos lasen (oder waren es 60.000?) Marktführer. Unsere Agentur hatte damals zehn Mitarbeiter, weshalb wir fünfmal die Woche neuen, journalistischen Content einstellen konnten. In Summe hat die Pflegebibel vermutlich zwei Stellen bei uns „gefressen“, immer im Glauben an den großen Durchbruch auf neue Mandate aus der Branche oder Anzeigenkunden und Werbepartner, die unseren Aufwand finanzieren würden. 2018 verkauften wir die Pflegebibel für einen symbolischen Euro an einen freien Mitarbeiter aus der Pflegebranche.
Lange war ich dann „geheilt“ von meinen Ausflügen in die digitale Welt. Bis die Pandemie auch hier sehr viel Beziehungskultur veränderte. Die Folge: Mit unserem zweiten 2015 gegründeten Therapie-Institut Der-Lebensberater gingen wir diesen April auf Instagram unter derlebensberater_no1 online in die Sichtbarkeit. Ein Berater hatte uns in mehreren Workshops zuvor „bei der Qualität eurer Angebote“ binnen Monaten 4000 Follower und 30.000 Euro Einnahmen in Aussicht gestellt. Im Jahr darauf sollten es „locker 100.000 Euro sein.“
Ich glaubte das gerne, nachdem ich mir die Mühe gemacht hatte, auf Instagram zu sichten, wer da als vermeintliche Mitbewerber am Start war: Menschen, die ohne ersichtliche Qualifikation, aber mit hohem Geltungsdrang und maßloser Selbstüberschätzung ihre dünne Substanz zelebrierten. Oft hörte ich binnen 15 Minuten keinen einzigen Satz, der es gelohnt hätte, ihn sich zu merken. Dennoch hatte der Anbieter 2000 Follower und bot Seminare zu immensen Summen an. Mittlerweile glaube ich, die finden (fast) alle nicht statt.
Als Profis, die einen guten Ruf zu verlieren und wenig Zeit haben, beauftragten wir Dienstleister für 1500 Euro im Monat, die uns den prognostizierten Erfolg bringen und unsere Videos, Reels und Lives ins Ziel tragen sollten. Nach acht Monaten haben wir dennoch gerademal gut 600 Follower auf Instagram und noch nahezu nichts dort verdient. Im Gegenteil: Die eigene Bezahlschranke, deren Preis ohnehin schon 80 Prozent unter der Empfehlung unseres Beraters lag, unterlaufen wir ständig selbst durch Gastzugänge für Interessenten an unseren Online-Gruppen. Der Grund: Viele, die sich hier tummeln, haben kein Geld, weil sie psychisch nicht belastbar und/oder überschuldet sind etc.
Ich bin dankbar für all diese Erfahrungen, damit ich qualifizierter mit Kunden reden kann, die gleichfalls meinen, sie müssten jetzt auf Twitter, TikTok, Instagram, LinkedIn und wie all diese Plattformen heißen, auf denen man endlos Zeit und Geld vernichten kann. Meinen Respekt haben Influencerinnen wie Maren Schiller und Julia Vogel, die mit ihren Fitness-Tipps und Produktempfehlungen die Sehnsucht hunderttausender Menschen nach Fitness und Schönheit bedienen.
Was die Frauen machen, ist Schwerstarbeit. Und von den vermeintlich hohen Einnahmen, z.B. 20.000 Euro im Monat, geht viel Geld wieder weg für ein Heer von Dienstleistern. Was für eine ver-rückte Scheinwelt. Dabei bekomme ich PR-Kunden wie Klienten nach wie vor fast ausschließlich über Empfehlung oder weil mich jemand in einem Vortrag oder Workshop erlebt hat. Gute alte, analoge Welt.
Servus Leo,
was hab ich mir stets den Mund fusslig geredet und was haben mir dann meine Kunden nicht alles für zukünftige Erfolge geschwärmt. Ich bin noch nie ein Verfechter von den ganzen Kampagnen gewesen, wenn man nicht bereit ist, dies als fulltime-Job zu sehen oder eben zu bezahlen. Das ist eben auch ein business, welches gelebt werden muss. Wieviel Euro wurden da investiert, für nix. Heute sichtbar und morgen weg.
Das ging mir mit den Imagevideos so, den Socialmedia-Kampagnen und so manchem sinnlosen Mailing.
Ja, und die Blender auf der Dienstleisterseite, die gibt es halt auch…