Formal lassen sich die 530 Seiten der Biographie von Ex-US-Präsidenten-Gattin Michelle Obama leicht lesen. Allein schon darin erkennt man die Profi, die einen Bestseller zu präsentieren weiß. Inhaltlich ist die Schwarte aus dem Goldmann-Verlag dagegen schwere Kost, geht es doch sehr viel um Rassismus, Ausgrenzung und um die schmutzigen Seiten der Politik. Wohlgemerkt in der ältesten Demokratie der Welt.
Sehr berührt haben mich die limitierten Umstände der Kindheit der Autorin in der South Side von Chicago, einem Viertel der Mittelschicht, das immer mehr zum Schwarzen-Ghetto kippt. Der Vater, ein pflichtbewußter Arbeiter im Wasserwerk, und die Mutter, die als Witwe später mit ins „Weiße Haus“ einzieht, vermitteln ihren Kindern Werte wie Disziplin und Bescheidenheit, aber auch Geduld, dem täglich erlebten Rassismus nicht mit Gegengewalt zu begegnen, sondern mit menschlicher Größe.
Deutlich macht Obama an vielen Stellen, dass sie als schwarze Frau gleich doppeltem Rassismus ausgesetzt war und ist. Und in vielen Passagen belegt sie ihr Selbstbewußtsein wie selbstverständlich, ohne ihr Emanzipiert-sein zelebrieren zu müssen. Wenn sie etwa beschreibt, wie Barack als Senator die Woche in Washington verbringt und sie mit den beiden Töchtern parallel zu ihrer eigenen Berufstätigkeit als Juristin den Alltag zuhause regelte.
Wenn also demnach der „geschäftige Daddy“ freitags nicht spätestens um 21 Uhr da war, brachte die Mutter die Töchter auch ohne ihn ins Bett. Allein schon, damit bei den Töchtern kein falsches Patriarchatsverständnis entsteht. Auch beschreibt sie in „Becoming“, das 2018 monatelang die Bestsellerlisten anführte, ihre persönliche Abneigung gegen Politik, weil diese opportunistischen Regeln unterliege. Aber aus Respekt für die Leidenschaft ihres Mannes akzeptiert sie dessen Weg genau dorthin, um die Lebensverhältnisse von (unterprivilegierten) Menschen und den Klimaschutz besser zu machen.
Bei der Lektüre leidet man regelrecht mit, wie Michelle zur öffentlichen Person wird, die allein schon deshalb Angriffen und Häme mancher Republikaner ausgesetzt ist. Die ihre Töchter versucht, vor dieser „öffentlichen Meute“ zu schützen und die ohnmächtig miterleben muss, wie ihrem Mann seine Worte und Intentionen regelrecht im Mund umgedreht werden. Ja, dann schäme ich mich, wie diese Widersacher weiß, männlich und (vermeintlich) christlich zu sein.
Spannend sind die Passagen, wenn sie aus dem Innenleben der Macht schreibt, dass sich quasi immer 54 Menschen bewegen, sobald sich der Präsident der USA bewegt, weil das Berater, Bedienstete und Bodyguards betrifft. Beklemmend, wenn die Autorin beschreibt, wie sie als Familie oder als Paar zumindest stundenweise versuchten, den „Goldenen Käfig“ zu verlassen und wie Security selbst zu den Kindergeburtstagen mitgeht, zu denen die Töchter eingeladen waren.
In der Biographie habe ich etliche Parallel zu meiner Vita entdeckt, deren Wurzeln auch in „einfachen Verhältnissen“ liegen. Und mit der Autorin teile ich die Überzeugung, dass ein Werkzeug des Erfolgs ist, sich stets treu zu bleiben, hart zu arbeiten, an sich zu glauben, nie aufzugeben – und zu vertrauen. Vor allem Frauen dürfte das Buch als mutmachende Lektüre dienen.