Eine ganze Seite widmet die „Stuttgarter Zeitung“ in ihrer ersten Ausgabe 2019 dem Achtsamkeitstraining bei SAP in Walldorf. Initiiert hat es demnach 2013 Peter Bostelmann, der bis dahin im Silicon Valley als SAP-Berater gearbeitet hatte. Nach seiner Rückkehr gelang ihm, einige Manager für solche Trainings zu begeistern wie er sie etwa bei Google erlebt hatte.
Diese Trainings fördern zwar nicht auf den ersten Blick die Produktivität, aber sehr wohl auf den zweiten: Denn die Mitarbeiter sind seltener krank, arbeiten stressfreier und sind teamorientierter. „Die Selbstwahrnehmung wird erhöht, die emotionale Intelligenz gefördert und die Konzentration gesteigert,“ sagt Torsten Simon.
Der 43-jährige Wirtschaftsingenieur ist seit 2005 bei SAP. Damals konfigurierte der IT-Experte Software bei Kunden wie Siemens. Heute leitet Simon Mitarbeiter seiner Kunden auch beim Meditieren während der Arbeitszeit an. Die Seminare, die er gibt, basieren auf Erkenntnissen der Hirnforschung und der buddhistischen Lehren – und sind frei von religiösen Wertungen.
Teilnehmer der Kurse schildern laut Pressebericht, dass sie zufriedener, gelassener und kreativer geworden seien. Weltweit haben demnach bereits 8000 SAP-Mitarbeiter das Training durchlaufen, bei dem sie sich zum Beispiel bewusst machen, wofür sie dankbar sind. 8000 weitere stünden auf der internen Warteliste.
Hilfreich war bei SAP, dass Führungskräfte der obersten Ebene diese Entwicklung begrüßten. Denn ohne diesen hierarchischen Rückhalt fänden solche Veränderungen in der Belegschaft keine Akzeptanz. Interne Studien haben ergeben, dass sich diese Kulturveränderung auch betriebswirtschaftlich messen lässt. Die Rendite liegt demnach bei 200 Prozent, weil etwa der Krankenstand signifikant sinkt.
Laut SAP haben die Walldorfer extern bereits sieben zahlende Kunden, darunter Autobauer aus dem Süden der Republik, und 30 potentielle Kunden. Denn Ende 2016 war die Entscheidung gefallen, dieses Kultur-Know-how auch extern anzubieten. 45 Trainer hat das Softwarehaus dafür intern bereits qualifiziert. Und das Potential sei in der deutschen Wirtschaft enorm.
„Im Grunde kann man unser Angebot als Begleitservice zum digitalen Wandel verstehen,“ sagt Bostelmann, der zum Leiter der Abteilung Global Mindfulness Practice, aufgestiegen ist, „das Umfeld verändert ich rasant. Am Anfang steht für jeden ein mentaler Schritt, nämlich aufgeschlossen an neue Situationen heranzugehen.“ Dazu gehört, das Missverständnis aufzulösen, dass Achtsamkeit weich und willenlos mache. Das Gegenteil ist eher der Fall.
Kritiker warnen, die neue Achtsamkeitswelle diene nur dem Ziel, Menschen noch perfider auszubeuten. Denn ursprünglich dienten die Lehren Buddhas dazu, Verblendung, Gier und Böswilligkeit auszumerzen. Entsprechend schmal ist der Grad zwischen Effizienzsteigerung und Persönlichkeitsentwicklung. Das beobachte auch ich immer wieder, wenn ich als Gestalttherapeut und Coach gebucht werde. Und: Immer mehr selbst ernannte Coaches springen auf den fahrenden Zug der Achtsamkeit auf – ohne hinreichende Ausbildung, Erfahrung und Persönlichkeit.