Jugendliche haben immer weniger Gewissheit, dass sie in ihrem Umfeld die Werte finden, die sie suchen. Das sei eine Katastrophe, sagt der Wiener Jugend- und Medienforscher Bernhard Heinzlmaier. Das Mitglied des deutschen Vereins Jugendkulturforschung glaubt, dass seriöse Medien vor diesem Hintergrund einen wichtigen (Bildungs-)Auftrag für junge Menschen leisten können und müssen.
Denn im Social Media-Zeitalter ist das Medium wichtiger geworden als der Inhalt und damit die Überprüfbarkeit. So höre ich heute oft den Satz, „ich habe auf Facebook gelesen“ oder auf Instagram, aber nicht mehr die eigentliche Quelle, die eben das Spiegel-Magazin gewesen sein kann oder ein Interessen-getriebener Blogger.
Ohnehin hat es eine gigantische Verschiebung vom Schriftlichen zum Visuellen gegeben. Nicht mehr die harten Fakten meiner komplexen Recherche sind wichtig, sondern die Fastfood-konforme Verpackung auf Youtube oder Instragram, die primär in bunten Bildern kommunizieren. Emotion ist dort wichtiger als Fakten. Donald Trump hat das in seinem US-Wahlkampf exzellent berücksichtigt.
Längst sind das Aussehen eines Politikers oder seine VIP-Bekanntschaften wichtiger als seine politischen Inhalte. Denn für Ersteres genügt Oberflächlichkeit, für Letzteres braucht es Allgemeinbildung und Belesenheit: Man muss Fakten durchdringen, Argumente nachvollziehen und prüfen können. Mangels Training gehen aber diese kognitiven Fähigkeiten massiv verloren, was jeder Lehrer bestätigt.
Und angesichts der Informationsflut macht sich immer seltener überhaupt noch jemand die Mühe, etwas zu prüfen. So kann geflunkert und gelogen werden auf „Teufel komm‘ raus.“ Auch im Privaten wird die Kommunikation immer postfaktischer. Es kommt nicht mehr auf die Wahrheit an, sondern die Wirkung, weshalb auch hier geblufft und gefakt wird. Die Tragik besteht darin, dass junge Leute keine Orientierung mehr bekommen.
Jugendforscher Heinzlmaier spricht von „moralischer Verzweiflung“, die in Zynismus und Ironie führt. Weil sich aber im Alter von 14 bis 17 Jahren die Persönlichkeit ausgestaltet, muss deren Gelingen scheitern: Das Recht des Stärkeren scheint zu gelten und alle Mittel sind erlaubt. Dass „Realität“ aber nur ein Konstrukt unserer eigenen Wahrnehmung ist, habe ich in meiner gestalttherapeutischen Ausbildung gelernt.
Im Kern ist es unser Wirtschaftsliberalismus, der alles und jeden auf seine Verwertbarkeit und Imagetauglichkeit reduziert. Die Folge: Es hat noch nie so viele Psychotherapeuten und Kommunikationstrainer gegeben, die sich mit ego-gestörten Menschen beschäftigen, deren Gedanken nur um die eigene Wirkung und das eigene Ich kreisen.
Das Abenteuer liegt aber nicht im Außen meines Selbst, in Besitz, Titeln, Urlauben oder Prestige, sondern das Abenteuer bin ich selbst und es schlummert tief in mir drinnen. Alles im Außen ist verwert- und manipulierbar, ist der Schein, das Bild, die Oberfläche – aber nicht die Realität. U.a. deshalb mache ich (ehrenamtlich) Männerarbeit bei MKP und Beziehungsarbeit in anderen Formaten.
Die sozialen Medien aber, so der 57-jährige Heinzlmaier, sind Simulationsmaschinen und in der Arbeitswelt bspw. gehe es nicht mehr um Leistung, sondern um das Präsentieren der eigenen vermeintlichen Leistung. Dieses Spiel funktioniere aber nur in Freiheit und Wohlstand, so der Geisteswissenschaftler. Parteien wie die AfD, die FPÖ, der Front National; Wirtschaftskrisen wie in Griechenland, Afrika oder Südamerika und schwere Krankheiten seien dagegen die Realität. Da wird gelebt, gelitten und gestorben.