Stille und Besinnlichkeit an der Krippe – Fehlanzeige: „Weihnachten“ ist zu Kommerz und Gefühlsduselei verkommen. Weg damit!

Die christliche Zeitschrift „Chrismon“ hat bereits 2018 erhoben, dass an Weihnachten nur 25 Prozent der Deutschen Weihnachten feiern. 69 Prozent feierten, dass die Familie zusammenkommt. 2021 dürften beide Werte niedriger liegen – und das nicht nur wegen der Pandemie. Mein Vorschlag: Schaffen wir Heiligabend endlich ab. Die Geburt Jesu, des Sohnes Gottes, ist ohnehin kaum mehr erkennbar.

Dazu passt, dass „Weihnachten“ auch in der nicht-christlichen asiatischen Welt boomt, etwa im konfuzianischen Japan, wo die „Season“ den Menschen für Tage erlaubt, aus ihren starren Normen und Konventionen zu fallen – und rührselig zu werden. Wie auch hier (fast) niemand mehr auf die Geburt des Erlösers hofft (von Glauben mag ich schon gar nicht mehr sprechen), sondern sich seiner infantilen (oder senilen) Sentimentalität hingibt.

Der zelebrierte Kitsch spiegelt sich in den blinkenden, bunten Lichterketten wider, die teils schon seit Mitte November in den Straßenzügen an Balkonen und Fensterrahmen hängen und teils eher an ein Wettrüsten in einem fiktiven Häuserkampf erinnern, denn an Sinnlichkeit. Die Botschaft der Bedürftigen, die von derlei Beleuchtung ausgeht: „Seht ihr mich! Ich bin auch da!“

Mich stört auch, was im öffentlich-rechtlichen (!!!) Radio dauersuggeriert wird zwischen all den „Christmas-Popsongs“: „Habt ihr schon die passenden Geschenke für eure Lieben?“ Und seit Anfang Dezember, weil auch die Moderatoren offenbar keinerlei abendländisches Bewusstsein mehr haben, die Frage: „Habt ihr schon den Christbaum dekoriert?“ (das macht man am 24.12. vormittags)

Dass hier nicht konsequenterweise nach dem Weihnachtsbaum gefragt wird, sondern dem CHRISTbaum, fällt ohnehin nicht auf. Das „Christ“ steht für „Christus“, also den Sohn Gottes. Das Wort kommt aus dem Griechischen und heißt „der Gesalbte“. Zur Zeit Jesu waren Salben kostbar und wurden nur für Könige und Fürsten verwendet. Mit „der Gesalbte“ verweisen also die ersten Jünger Jesu darauf, dass sie in dem aramäischen Zimmermannssohn den Sohn Gottes erkennen, weil er zum Beispiel heilt, Schuld verzeiht (statt sie zu rächen) und man sich in seiner Nähe geborgen fühlt, also nicht bedürftig.

Na, war der jüngste Passus jetzt interessant? In der gesamten Adventszeit – das ist Lateinisch und heißt „Ankunftszeit“, also die Zeit, bis Gott Mensch wird, eben an Heiligabend – habe ich keine Silbe zu solch fundamentalen Zusammenhängen unseres Brauchtums und unserer Kultur gehört. Es ging immer nur um Konsumieren (fressen, saufen, bestellen/kaufen) und Gefühlsduselei. Und die erwarteten 112 Mrd. Euro Umsatz im deutschen Weihnachtsgeschäft sind immer noch zu wenig, um den von der Pandemie gebeutelten Einzelhandel zu sanieren.

Merkst Du etwas? Selbst in der Advents- und Weihnachtszeit haben bei uns nicht mehr die Theologen das Sagen, sondern die Wirtschaftsanalysten und Verbandsvertreter. Deshalb reden wir in Steigerungsraten, Bruttosozialprodukt, „kritischer Masse“, Indizes etc., aber nicht mehr von Gefühlen wie Freude, Trauer, Angst und Wut.

Doch die Umfragen lassen hoffen: Immerhin gaben voriges Jahr 14 Prozent der Befragten an, Weihnachten gar nicht zu feiern. Oder waren das die Muslime? Mir wäre sehr recht, wir würden „Weihnachten“, die „geweihte Nacht“, also die mit Weihrauch gesegnete „heilige Nacht“, abschaffen. Als Christ, also Gesalbter, ertrage ich kaum, wie sehr alles konsumiert, benutzt und verbraucht wird, was mir heilig ist. Weihnachten ist für mich die Verheißung, dass Gott diese Welt auf den Kopf stellt. Dass die Mächtigen den Schwachen dienen; dass die Besitzenden bis zu ihrer Schmerzgrenze mit den Armen teilen; dass es keine Kriege mehr gibt, weil jeder im anderen den Bruder und die Schwester erkennt. DAS IST WEIHNACHTEN.

Der zelebrierte Sentimentalitätsdreck hat damit nichts zu tun. Wie wir die Welt mit unserer Gier zerstören, zerstören wir Weihnachten. Denn Heiligabend ist eine Haltung und nichts, was man kaufen, fressen oder saufen kann. Weihnachten, wenn ich es begehe, ist die Selbstverpflichtung, meinen Besitz zu teilen, meine Feinde zu lieben und meinen Mitmenschen zu dienen. Deshalb meine Bitte: Benennen wir den 24. Dezember, die Wochen davor und die Tage danach komplett um.

In der gott- und seelenlosen DDR gab es auch kein Weihnachten (und so fühlte sich diese sozialistische Diktatur auch an!). Meine katholische Kindheit dagegen war wunderschön: Mystisch, gemeinsame (Gebets-) Zeit im Kerzenschein, gemeinsames Musizieren und mehrstimmiges Singen. Um Konsum ging es da nie. Eher symbolisch gab es auch mal eine Kleinigkeit, z.B. aus der einen Adventsschnur, die ab 1. Dezember geheimnisvoll im Eßzimmer hing und von der wir Kinder abwechselnd (!!!) ein kleines Päckchen öffnen durften.

Besonders schön war die „Herbergssuche“, bei der jedes Jahr dasselbe Marienbild von Haus zu Haus weitergegeben und in einer kleinen Feier mit Beten und Singen übergeben wurde. Schon das Bild war ein Mysterium, wie es immer pünktlich zur Adventszeit auftauchte. Bereits als Sechsjähriger erlebte ich so, wie unterschiedlich Menschen sein und wohnen können. Lichterketten gab es keine, aber jeder in der Straße wurde gesehen und besucht. Bei Gutsle, Glühwein, Eierlikör und Kinderpunsch waren Jung und Alt beisammen, lachten und pflegten Beziehungen.

Ja, wir waren vermutlich materiell arm, aber emotional waren wir reich: Wir hatten die Gemeinschaft, das Mysterium des Glaubens und die Vorfreude auf Weihnachten. Wir hatten sogar noch „richtige“ Winter mit Schnee und Frost bis Februar. Da starben die Schädlinge im Wald und in den Weinbergen ab, was ich damals noch nicht wußte. Und im Frühjahr tränkte die Schmelze Böden, Grundwasser und Flüsse. Das war das Geschenk – die vermeintlich heile Welt.

Und jetzt: Seit Wochen käme ich Pandemie-bedingt nur durch Zugangskontrollen wie in einen Hochsicherheitstrakt in Gotteshäuser, müsste dort die Maske aufbehalten, mich von Mitchristen fernhalten und singen dürften wir auch nicht. Über das fehlende Charisma der Kleriker möchte ich mich ohnehin nicht äußern. Entsprechend ziehe ich den Waldspaziergang dem Sonntagsgottesdienst vor, so dass auch bei mir keine vorweihnachtlichen Gefühle aufkommen.

Meine Bitte: Feiert am 24.12. irgendetwas, besauft euch, werdet weinerlich, lasst eure Mülleimer überquellen, zwingt eure Angehörigen zur Anwesenheit, belästigt euch mit irgendwelchen unnötigen Präsenten etc. – aber nennt es bitte nicht Weihnachten. Danke.

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