Ein Prestige du Médoc von 1964, ein Chateau Philippe von 1993, ein Orizzonte (Vino di tavola Della Svizzera Italiana) von 1999, ein Les Balisiers Lune rouble (aus Genf) von 2001, ein Chateau Haut-Vigneau (Bordeaux) von 2002 und ein Chateau Cantenac (Saint Emilion Grand Cru) von 2011 waren Teile einer Weinverkostung, die mir mein Bruder Peter vorige Woche kredenzte.
Die Weine hatte er einem Schweizer Freund und Weinliebhaber zu einem symbolischen Preis abgekauft, der seinen privaten Bestand von vermutlich 2000 Flaschen räumen musste, weil deren Lager renoviert werden soll. Der Weinkenner machte das Angebot nur besten Freunden, weil er sich kaum von seinem geliebten Bestand trennen konnte.
Ich möchte das vorausschicken, weil es gleichermaßen viel über meinen Bruder sagt, wie über den Abend der Verkostung, den wir – vermutlich auch Pandemie-bedingt – zu zweit in seiner Wohnung in Bad Bellingen verbrachten. Den 1964er hätte ich vermutlich erst gar nicht geöffnet, sondern gleich via Ebay für mehrere hundert Euro von seiner Tochter oder meinem Sohn verchecken lassen, da wir das beide nicht können – und auch keinen Bock darauf haben.
Geradezu gierig, wie ein Kind an Heiligabend seine Geschenke auspackt, schnitt mein Bruder stattdessen das Siegel des 1964ers weg und wollte den Wein entkorken, wobei der Pfropfen gleich in die Flasche rutschte. Schon am Geruch, der ausströmte, war zu erkennen, dass der einst wuchtige Prestige du Médoc vermutlich spätestens vor 30 Jahren „gekippt“ war. Aus Respekt vor dem Jahrgang, der nur zwölf Monate jünger war als ich selbst bin, nippte ich zumindest zwei dünne Schlucke an der trüben Brühe und würdigte deren Aura.
Derweil war mein Bruder bereits am Öffnen des Chateau Philippe von 1993, mit dem es uns ähnlich ging. Immerhin: Hier war der Korken noch in Ordnung, der Wein war Sherry-farben und der Geschmack etwas brack. Wir beide verkosteten den einst edlen Tropfen, doch mein Bruder befand, für den Anlass meines Besuches tauge auch dieser Rebensaft nicht. Immerhin stellte er ihn „zum Atmen“ in die Küche, um ihm tags darauf eine zweite Chance zu gewähren.
Dagegen hatten wir mit dem dritten Wein, dem Orizzonte von 1999, einem Schweizer Tropfen, einen Treffer: Geruch und Farbe beeindruckten auf Anhieb, auch Aroma und Geschmack waren – angesichts des Alters – akzeptabel, nur im Abgang war er zu Beginn enttäuschend flach. In unseren wuchtigen Kelchen hatte der Wein aber genug Platz, sich mit dem Sauerstoff im Raum zu verbinden und so wurde der Trank mit jedem Schluck bis zum Finale gut eine Stunde später immer besser.
Da wir bereits zum Essen zuvor je ein Bier und Markgräfler Grauburgunder (von 2021, trocken und aus Auggen) hatten, sollte es nun, trotz des besonderen Abends für uns genug sein. Für unsere Beziehung – mein Bruder ist 13 Jahre älter als ich – waren mein Besuch und besonders dieser Abend sehr wertvoll. Dem Oltener Weinsammler, ich glaube er nannte ihn Kurt, möchte ich danken für seine Großzügigkeit, sich von diesen Raritäten getrennt haben zu können. Zu seinem Wein-Hobby, einem der ältesten Kulturgüter der Menschheit, möchte ich den Schweizer allemal beglückwünschen: „Kurt, Du bist ein kluger Mann!“
Es ist eine gute Regel beim Weinverkosten den Abend mit einem Pils abzuschließen. So habe ich das Weintrinken wenigstens gelernt, übrigens in Kirchenkreisen. Denn nach der achten, neunten Rarität in der Flasche schmecken sie irgendwie alle nicht mehr. Oder es wird zu anstregend jeder Geschmacksnuance hinterherzujagen. Was dann aber immer noch geht ist, zum Glück, ein simples Bier. Manchmal kann das Leben so einfach und schön sein. Gruß, Simon
Stimmt! Kenne ich auch so. Gruß, leo