Will den Kapitalismus transformieren: Harald Welzer.

Der Berliner Soziologe Harald Welzer hat mir bis zu einem ganzseitigen Interview am Samstag in der Süddeutschen auch nichts gesagt. Hellhörig wurde ich, als der Bestsellerautor dort davon sprach, den Begriff „Wachstum“ in politischen und ökonomischen Kontexten durch „gesteigerten Verbrauch“ zu ersetzen. Einen Namen hat sich der Sozialpsychologe durch die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit gemacht und dem Buch „Opa war kein Nazi“.

In der Süddeutschen kommt der 63-Jährige nun zu Wort, weil er Vorstand der Stiftung Futurzwei ist, die sich mit dem Klimawandel befasst und im Oktober bei S. Fischer sein jüngstes Werk erschien, „Nachruf auf mich selbst“. Welzer befasst sich mit der Endlichkeit und der Absurdität, mit der wir Menschen damit umgehen. So werden Gletscher mit klimaschädlichen Plastikfolien abgedeckt, die alle zwei Jahre erneuert werden müssen, um deren Schmelzen zu verlangsamen.

Die Wachstumsideologie, so der langjährige Professor der Uni Witten/Herdecke, sei Anfang der 1930er-Jahre in den USA aus der Weltwirtschaftskrise heraus erfunden worden, um die Volkswirtschaften zu stabilisieren. Im Kalten Krieg sei das System zur Perfektion getrieben worden, um dem Sozialismus die Überlegenheit des Kapitalismus vorzuführen. Seither hat sich das System verselbstständig und werde, so Welzer, von der FDP noch befeuert.

In den Finanzkrisen wie zuletzt 2009 oder in der aktuellen Pandemie duckten sich die Ökonomen weg und sagten gar nichts, um sich dann nach wenigen Monaten mit „Wachstumsprognosen“ wieder ins Gespräch zu bringen oder um zu begründen, warum „ein Wachstum“ ausbleibt. Laut Welzer sind Ökonomen „überflüssig“, weil sie zu nichts einen Beitrag leisteten.

Welzer plädiert auch dafür, dass Menschen von ihren Posten zurücktreten, wenn sie bei ihrer Beförderung oder in ihrem Karrierehunger einen Zenit überschritten haben, ab dem sie überfordert sind. Der Welt bliebe dann viel Elend erspart, so seine These, zumal überforderte Menschen nicht glücklich sein können. Der Soziologe plädiert deshalb für eine Kultur des Rücktritts, in der sich Menschen zu Wort melden, wenn sie spüren, dass sie nun am falschen Platz sind und sich getäuscht haben.

Der Direktor der Stiftung Futurzwei legt Firmen nahe, sich nicht mehr auf Gewinnmaximierung auszurichten, sondern etwa auf CO2-Neutralität oder das Gemeinwohl. Der Professor ist nicht gegen Kapitalismus, weil er dessen Gestaltungskraft schätzt, sondern will ihn transformieren, dass er bspw. vorausschauender wird. So sorge eine Verbotskultur eher dafür, dass man sich nochmal einen SUV kauft oder zum Yoga nach Indien fliegt, „solange es noch geht.“

Deshalb will Welzer den strukturellen Wandel, weil der Einzelne überfordert sei, stets das Beste zu tun. Denn wenn der Flieger billiger ist als die Bahn, fliege das Gros der Menschen. Sein Credo: „Wir haben eine Struktur, die permanent dazu verführt, die schlechteste Wahl zu treffen. Weil etwas billiger ist, weil es bequemer ist.“ Nicht der Einzelne sei das Problem, sondern das Angebot.

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