Intelligent und lesenswert: Das Sachbuch von 2013.

„Die Natur ist nicht zerstörbar, nur veränderbar,“ lautet so ein Satz in dem 500-Seiten-Wälzer des israelischen Universalhistorikers Yuval Noah Harari, der 2013 den Bestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ verfasst hat. Ein anderer Satz lautet: „Biologie erlaubt, Kultur verbietet.“ Stringent und spannend beleuchtet der Autor die Menschheitsgeschichte und gibt einen Ausblick, wie wir in der nächsten Phase unsere „Menschlichkeit“ durch Cyber und Gen-Manipulation vollends hinter uns lassen.

Den Bestseller habe ich erst jetzt gelesen, weil in „Die Wahrheit über Eva“, das mich auch sehr beeindruckt hat, zigfach auf dieses Werk verwiesen wurde. Denn mit der Entdeckung des Feuers um 100.000 v.Chr. und der Fähigkeit des Kochens, so Harari, habe der Mensch die Spitze der Nahrungskette erklommen. Gekochte Speisen waren effizienter zu verdauen, so dass der Körper seine Energie mehr auf das Gehirn verlagern konnte. Und: Mit dem Feuer entkoppelte sich der Mensch erstmals von der Macht der Natur, weil er das Feuer immer und überall selbst entfachen konnte.

Die zweite Revolution war die Sprache, die den Menschen befähigte, sich in Kohorten von mehr als 150 „Tieren“ organisieren zu können. Hier wurde vor allem kolportiert, wem man vertrauen konnte. Außerdem ermöglichte die Sprache, von Dingen zu sprechen, die es nur in der Vorstellung und der Abstraktion gab, z.B. Vertrauen, Hoffnung etc. Hier liegen die Wurzeln für Kultur, Konvention und Transzendenz bzw. Religion.

Die dritte Revolution waren Schrift, also das Festhalten von Sprache, und Handel, also das Tauschen und somit Bewerten von Wichtigkeiten. Die vierte Revolution waren demnach Konsumismus, damit Handel besser funktioniert, und Manipulation, damit Religion besser funktioniert. In dieser Phase kristallisierte sich eine kleine Oberschicht heraus, die sich dem harten Arbeitsalltag entzieht und in verschwenderischem Luxus lebt, mit dem ursprünglich die Götter günstig gestimmt werden sollten.

Spätestens hier um 10.000 v.Chr. mit der Seßhaftigkeit, macht der Autor immer wieder in Reflexionen klar, hatte sich das Leben der meisten Menschen verschlechtert: Sie wurden unterdrückt, schindeten sich in der Landwirtschaft krumm, waren schlechter ernährt, durchlitten Seuchen und das Bevölkerungswachstum machte sie ärmer und abhängiger. Entsprechend war kein Zurück mehr zur Zeit der Sammler und Jäger möglich.

Irgendwann vor 45.000 v.Chr. hatte es der Sapiens auch geschafft, das Meer nach Australien zu überwinden. Binnen weniger Jahrtausende schaffte er es, durch Brandrohdung und Jagdtaktik, u.a. das riesige Diprotodon auszurotten, das zuvor 1,5 Mio. Jahre mindestens zehn Eiszeiten überlebt hatte. An den Menschen, der so ungefährlich daherkam, konnte es sich ebenso wenig schnell genug anpassen, wie das Mammut, das der Mensch 4000 v.Chr. ausgerottet hatte, obwohl es sich immer weiter nach Sibirien zurückgezogen hatte. Der Mensch war ihm gefolgt.

Die fünfte Revolution war die Erfindung von Zahlensystemen, mit denen der Mensch seine gigantischen Siedlungen verwalten lernte. Eng damit einher ging die Erfindung des Geldes, um den Tauschhandel zu optimieren. War die erste Rechnungseinheit 4500 v.Chr. noch ein 8,33 Gramm schwerer Silberschekel, in dem Getreide gewogen wurde, ging es bald zu Münzen über und von hier zum Kreditwesen. „In Wahrheit ist Geld der Gipfel der Toleranz,“ schreibt Harari, weil es über alle religiösen und ideologischen Konflikte hinweg die Menschen verbindet und zugleich immer neue Tabus bricht, wonach z.B. Ehre oder Nation nicht käuflich seien.

So ermöglicht das Geld, Imperien zu organisieren und die Globalisierung voranzutreiben. Die siebte Revolution begründet Isaac Newton, der die Mathematik als „Sprache der Natur“ dechiffriert und damit den Grundstein für die Relativitätstheorie Albert Einsteins und der Quantenphysik legt. Der Mensch entkoppelt sich von der Religion und nimmt mit den Naturwissenschaften seine Bestimmung selbst in die Hand.

Die achte Revolution ist um 1700 die Erfindung der Dampfmaschine, mit der der Mensch nun die Natur für sich arbeiten lässt. 1776 begründet der schottische Philosoph Adam Smith den Kapitalismus und entfesselt das Unternehmertum, weil Reichtum nun ideologisch gerechtfertigt ist und nicht mehr als Gier gilt. Die neunte Revolution ist 1830 die erste Eisenbahn in England, die Städte miteinander verbindet und wegen ihrer Geschwindigkeit eine landesweit einheitliche Zeitmessung (Greenwitch Time) erfordert, die ab 1880 immer mehr Länder und Kontinente übernehmen. Bis dahin dachten die Menschen in Jahres- und Tageszeiten, nicht einmal das Jahr selbst war von Bedeutung.

Die zehnte Revolution waren Elektrizität und Erfindung des Verbrennungsmotors, weil sie individuelle Freiheit in jeden Haushalt brachten. Telegraphie und Telefon waren weitere Beschleuniger für die globale Vernetzung, die immer größere Einheiten und Wirtschaftsräume ermöglichten. So systematisch der Autor all diese Prozesse beschreibt, so sehr skizziert er an vielen Stellen seines Buches, wie sich das Leid in der Welt durch Unterdrückung und Ausbeutung potenziert. Auf der Jagd nach Fortschritt und Rendite sei der Mensch dem Leid gegenüber gleichgültig.

Dabei kennt unser Gehirn, so seine Conclusio, keine Rendite und keinen Luxus, sondern nur biochemische Pegelstände von Serotonin (regelt Blutdruck), Adrenalin (Stress), Dopamin (Freude) oder Endorphinen (Glück). Das war vor 100.000 Jahren als Sammler und Jäger so, vor 12.000 Jahren als Bauern und ist seit 200 Jahren als Arbeiter und Angestellte so. Um das zu ändern, so Harari, stünden wir nun wohl an der Schwelle zur nächsten Phase der Biotechnik, die den „besseren Menschen“ hervorbringen soll.

Der Autor macht deutlich, dass der Mensch in seiner Evolutionsgeschichte bislang noch jedes Tabu gebrochen hat und damit von einem „kleinen Gefängnis“ immer in ein „nächstgrößeres Gefängnis“ gewechselt hat. Oder in der Literaturgeschichte gesprochen von „Adam & Eva“ zu „Dr. Frankenstein“. Worin Harari beruhigt: Die Welt wird immer weiter bestehen, egal, was der Mensch macht. Für Kakerlaken oder Ratten seien bereits „traumhafte Zeiten“ angebrochen. Und wenn deren Forscher in 45 Mio. Jahren zurückblickten, sei der Sapiens eben auch eine Episode gewesen.

3 Comments

  1. Ralf Hokenmaier

    Ja, Hararis Bücher sind klasse.

    Und wenn wir alle die neue Verbotspartei gewählt haben, bin ich gespannt, welche neue Revolution beginnt 😊😊

    1. Schön, dass Du Harari auch schätzt. Und wer ist die Verbotspartei? Gruß, leo

      1. Ralf Hokenmaier

        Na die Grünen

Schreibe einen Kommentar zu Ralf Hokenmaier Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert