Statt die Pendlerpauschale zu erhöhen, wie Armin Laschet (CDU) reflexartig fordert, reicht es, den ÖPNV auszubauen.

Wer keine Lust auf Beschimpfung hat, sollte jetzt besser aufhören mit Lesen. Der Grund: Für meine Psychohygiene muss ich jetzt mal poltern, unter was für Ignoranten, Feiglingen und Egoisten ich leben muss. Es haben sich einfach schon wieder zuviele Fakten angehäuft in den vergangenen Wochen: In Sachsen-Anhalt kommen die Grünen gerade Mal auf sechs Prozent (!!!), deren Spitzenkandidaten Annalena Baerbock wird seit Wochen mit Lächerlichkeiten gejagt und fertiggemacht, damit sie ja nicht die nächste Kanzlerin wird.

Die Schweizer kippen am Wochenende mit knapper Mehrheit den Volksentscheid, mit dem die vom Klimawandel extrem bedrohte Alpenrepublik die Pariser Klimaziele hätte halten können; die G7-Länder begnügen sich am selben Wochenende weitgehend mit Absichtserklärungen zur CO2-Reduktion; CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet fordert zur selben Zeit, die Pendlerpauschale zu erhöhen, um die Folgen der CO2-Steuer auf den Benzinpreis zu kompensieren (statt dass die Leute den ÖPNV und Homeoffice nutzen oder dort wohnen, wo sie arbeiten etc.) und FDP-Chef Christian Lindner schürt die Empörung (und verunsichert die Grünen), dass der Mallorca-Flug für Hinz & Kunz erschwinglich bleiben müsse.

Verdammte Scheiße: Wer sagt denn, dass wir ein Recht auf ein tägliches Schnitzel, einen SUV, einen Billigflug zum Shoppen nach London oder auf „freie Fahrt für freie Bürger“ hätten? Das ist Verarsche. Als Kind aus ärmlichem Elternhaus habe ich das Recht zu sagen: Bei uns gab es NIE Urlaub; nur sonntags Fleisch; wir aßen Margarine statt Butter und für mich war klar, dass nur die Reichen, wer auch immer das sein sollte, denn ich kannte keine, in Urlaub fliegen, Mercedes/Porsche fahren oder eine Yacht besitzen. Und in den Märchen meiner Kindheit war das halt nur der König.

In meinem Elternhaus, in dem stramm CDU gewählt wurde, weil man Gottes-fürchtig (= der Obrigkeit gehorsam) war und die Schöpfung bewahren wollte, sorgte Erhard Eppler in den 1970er Jahren für Verwirrung, weil der Landesvorsitzende der SPD viel christlichere Positionen vertrat als „unsere“ CDU-Leute (einer hieß Egon Susset, fällt mir ein). Eppler argumentierte mit Fakten des Club of Rome, bald darauf auch der CDU-Mann Franz Alt. Wäre Eppler Katholik gewesen, hätte das in meinem Elternhaus vermutlich für eine Revolution gereicht, wobei sein Parteifreund Willy Brandt als Verräter galt, weil er nicht – wie mein Vater, der auch gegen Hitler war, aber in der Wehrmacht „diente“ – seiner „vaterländischen Pflicht“ nachkam.

Ähnlich verwirrend diskutieren heute viele meiner Mitbürger, Journalisten, Unternehmer, Politiker etc. Deshalb verstehe ich intellektuell, was an innerpsychischen Widersprüchen und Widerständen läuft. Weil ich aber seit meiner Kindheit die Fakten der globalen Zerstörung sehe, die sich seither extrem potenzieren – die Weltbevölkerung hat sich bspw. seither verdreifacht; die Regenwälder vermutlich halbiert etc. – wachsen meine Ungeduld und letztlich meine Intoleranz. Ich ertrage kaum mehr, was wir unserer Mitwelt noch immer antun und wie zynisch dabei argumentiert wird.

Warum ich für den Planeten keine Hoffnung mehr habe: Weil ich als Theologe und Therapeut den Menschen an sich kenne. Und weil ich permanent persönlich entsprechende Erfahrungen mache. Auch Menschen, denen ich mich nahe fühle, handeln nicht konsequent nachhaltig; in beruflichen Recherchen als Journalist lassen sich Unternehmer und Politiker nicht mit dem zitieren, was sie wirklich denken, sondern wie sie glauben, dass es ihnen nicht schadet. Und selbst das wird dann noch in der Redaktion „bearbeitet“, um es für Leser bekömmlich zu machen, Anzeigenkunden nicht zu provozieren oder verlagsintern keinen Ärger zu bekommen.

Jüngst habe ich bspw. einen Landkreis bei der Einführung eines neuen Gebührensystems kommunikativ begleitet, das bis 2026 die Restmüllmenge dort halbieren soll. Respekt! Das erfordert von den Bürgern viel Disziplin, also quasi Komfortverlust. Mehr noch: Im besten Fall kann man 20 Prozent der Gebühren sparen, im Normalfall werden sich die Gebühren aber – je nach Selbstdisziplin – um zehn bis 60 Prozent erhöhen. Was da an Dummheiten und Unverschämtheiten über die Verantwortlichen hereinbrach, die ihrer ökologischen Verantwortung gerecht werden wollen, war schon beeindruckend, um es neutral zu formulieren. Ich verstehe deshalb jeden Politiker, der keine Kraftanstrengung unternimmt – und das Volk letztlich belügt.

Statt sämtliche Infos des Abfallwirtschaftsbetriebs zu lesen und zu durchdenken, die ich recherchiert und verfasst hatte, kamen sofort die Reflexe per Mail und Leserbrief. Selbstverständlich fast nur von aggressiven (vermutlich älteren) Männern, die ihren ganzen Frust auf das (demokratische) System im Kontext der Pandemiebeschränkungen (die alle nicht ein Landrat oder Kreistag verantwortet) auf diese Reform projizierten.Übrigens war es die CDU, die im Landkreis angesichts des Gegenwinds als erste (wieder) umfiel, und das durchdachte Konzept für „nachverhandelbar“ erklärte. Diese Umfaller!

Verlogen wurde hier mit asozialen Verwerfungen argumentiert, die Windelkinder und Pflegebedürftige beträfen, als ob dies keine befristeten Situationen wären, die via Sozialpolitik (Kinder-/Pflegegeld) separat geregelt sind. Und empört war ich, wie hier Klischees von „faulen Beamten“, „weltfremden Politikern“ und „kapitalistischen Interessen“ befeuert wurden, was alles Quatsch war, weil ich sämtliche Akteure und Zusammenhänge kenne. Mit welcher Arroganz hier Menschen, die evtl. zehn oder 20 Prozent einer Thematik durchdringen, sich erlauben, den Mund aufzumachen! Gegen Verständnisfragen habe ich nichts. Im Gegenteil. Davon lebt Demokratie. Aber nicht von der argumentativen Vernichtung.

Nein, der gewöhnliche homo sapiens will nur, primitiver als ein Tier, seine Gewohnheiten pflegen, nichts ändern (würde ja Gehirnkapazität fordern), andere sollen immer schuld an der eigenen Situation sein (Eigenverantwortung wegdelegieren), auf diffuse „Rechte“ insistieren und „Schuldige“ finden (hey, FDP, bei der Autonomie des Menschen hätten wir eine Schnittmenge!!!), komplexe Kontexte ausblenden, z.B. nachfolgende Generationen, Menschen in anderen Ländern, Tier- und Pflanzenarten, den Planeten generell. Ich glaube, es ist kein Verlust, wenn es uns Menschen (bald) nicht mehr gibt. Aber der Weg bis dorthin wird die Hölle – siehe Untergang der Titanic. Ich werde übrigens bis zum Schluss die Violine spielen, um in diesem Bild zu bleiben.

5 Comments

  1. Simon Schäfer

    Brauchst Du noch einen Cellisten?

    1. Immer gerne. Die Musiker wirken wie ein Kraftpaket. Das gibt Hoffnung.

      1. Simon Schäfer

        „Und wenn du denkst es geht nicht mehr / kommt von irgendwo diese Mucke her. / Und sagt dir, dass alles besser wird. / Und dass die Hoffnung als allerletztes stirbt.“ (Jan Delay, Hoffnung)

  2. Ein Freund hat mir gerade den Artikel hier empfohlen, nachdem er meinen gestern veröffentlichen Blog-Artikel gelesen hat.

    Irgendwie alles ziemlich frustrierend, heutzutage 🙁

    1. Wir Menschen sind halt (leider) wie wir sind. Meinen optimismus lasse ich mir dennoch nicht nehmen, mein Umfeld möglichst friedlich und sozial zu gestalten. Mehr kann ich nicht tun. Und muss es auch nicht. Danke!

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