Trend: Für manche Filme werden die Akteure „colorblind“ gecastet.

Kürzlich hat mich ein Freund im Kontext von Gender und Diversity darauf hingewiesen, dass er durchgängig privilegiert sei: Weiß, männlich, attraktiv, sportlich, bürgerliche Herkunft, Eltern nicht geschieden, akademische Bildung, gutes Einkommen. Was er mir damit sagen wollte, habe ich nicht verstanden. Da ich als Kind dick war, finanziell sehr knappgehalten wurde und zudem in der sechsten Klasse sitzen blieb, habe ich gelernt, mich durchzusetzen. Privilegiert habe ich mich nie gefühlt. Auch, weil ich meist anderer Meinung bin als die Mehrheit. Das fühlt sich oft einsam und ohnmächtig an.

Die Tochter eines Bekannten, auch ein gebildeter, weißer Mann, hat nun den Eltern wohl bereits den dritten Freund vorgestellt: Alle waren bzw. sind schwarz. Mit meinem Impuls, das könne Rassismus sein, weil der Lover primär nach der Hautfarbe identifiziert/selektiert wird, fand er einen interessanten Aspekt. Den strukturellen Rassismus leugne ich ja gar nicht und dass die heilige Familie aus Palästina in nahezu allen Krippenfiguren arisch ist, nervt mich auch. Aber mancher Zeitgenosse versteckt – nach meiner Beobachtung – seine psychischen Deformationen auch hinter seiner ethnischen Herkunft.

Die „Stuttgarter Zeitung“ berichtet heute, dass in Film und Theater Rollen zunehmend „colorblind“ gecastet werden, also bspw. Adlige im 18. Jahrhundert auch mit Schwarzen oder Asiaten besetzt werden. Das finde ich interessant. Schließlich „spielte“ auch der Franzose Pierre Brice den legendären Winnetou. Kritiker aber bemängeln, auch dieses Novum sei rassistisch. Besser sei, die Biographien von Indianern oder Schwarzen zu recherchieren und zu verfilmen – mit Angehörigen dieser Ethnien.

In der ZEIT las ich jüngst allerdings auch, dass wir auf vielen Feldern inflationieren. Das Beispiel der Autorin: Früher galt man als traumatisiert, wenn man schwer verletzt einen tödlichen Verkehrsunfall miterlebte. Heute reicht es, als unbeteiligter Augenzeuge den Unfall miterlebt zu haben. Der Grund: Dadurch vermehrt man die Menge potentieller Patienten und Klienten.

Mit Diskriminierungserfahrungen scheint mir das ähnlich zu sein. Als Redakteur, der um 1990 ausgebildet wurde, halte ich mich weiter an den Duden und nicht an die Gender-Regeln, wonach bspw. Studenten sterilisiert werden zu Adverbialkonstruktionen wie „Studierende“ oder StudentINNen, was den Lesefluss behindert. Bleibe ich aber beim Duden, werden mir Machoismus und fehlende Sensibilität unterstellt. Es soll sogar Lehrstühle geben, an denen Bachelor-Arbeiten abgelehnt werden, wenn man die Gender-Ideologie nicht berücksichtigt.

In der Türkei, so stand es in besagtem ZEIT-Artikel, gibt es grammatikalisch offenbar keine Unterscheidung zwischen männlich und weiblich – dass aber Frauen dort gleichberechtigt seien, würde ich jetzt auch nicht behaupten. In den kommenden Tagen schreibe ich hier über meine Erfahrung mit jungen Türken, die ich im Zug gemacht habe. Heute würde das zu weit führen. Ich bleibe aber angreifbar, weil ich AfD, Pegida & Co. mit „political correctness“ keinen Millimeter Boden der Demokratie preisgebe.

3 Comments

  1. Terje Lange

    Lieber Leo,

    ein paar Grunddenkfehler deiner Überlegungen will ich Dir nicht vorenthalten:

    1. Critical Whiteness ist kein Mittel zur Beschämung oder Diskriminierung von weißen Menschen, sondern einfach die Anerkennung und Sichtbarmachung einer oft unbewussten Realität. Dass du als Kind dick warst, knapp gehalten wurdest und Dich durchbeißen musstest, mag sein, aber du musstest Dir nicht überlegen, ob du einen Job oder eine Wohnung wegen deiner Religion nicht bekommen hast, du musstest Dir keine Demütigungen wegen deiner Hautfarbe anhören, die du im Gegensatz zu deiner Figur nicht ändern kannst. Oder auch, ob du aufgrund deines Geschlechts weniger Geld verdienst, als deine Kolleg*innen. Es lohnt sich, sich mit der eigenen Privilegiertheit auseinanderzusetzen, zumal sie oft „selbstverständlich“ wirkt, es aber nicht ist.
    2. Die Idee, dass es rassistisch ist, den Freund nach der Hautfarbe auszusuchen ist insofern schwierig, weil „sie“ kein direktes Opfer von Rassismus wird, sondern „er“. Und „sie“ ist daran nur mittelbar beteiligt, weil „sie“ erstmal nur den gegen ihren Freund gerichteten Rassismus abbekommt. Die Vermutung, dass die Partnerwahl rassistisch sein könnte ist es was hier rassistisch ist, nicht die Wahl an sich. So zu denken ist, mit Verlaub, eine Verdrehung der Lebensrealität von von Ausgrenzung und Diskriminierung betroffenen Menschen.
    3. “Colorblindness“ meint zunächst, dass wir offensichtliche Ungleichheit ignorieren, wenn wir so tun, als gäbe es keine Unterschiede und wir wären alle gleich. Die Forderung BIPoC in mehr Hauptrollen und nicht nur in Nebenrollen zu besetzen meint eben nicht, sie „colorblind“ zu besetzen.
    4. Winnetou ist zunächst deshalb problematisch, weil er ein von einem Weißen gezeichnetes Bild von Native Americans zeichnet, welches mit dem realen Genozid und der Lebensrealität von Native Americans nichts zu tun hat. Die Rolle dann noch mit einem weißen Europäer zu besetzen ist aus der Perspektive eines Native Americans einfach eine Ohrfeige (milde ausgedrückt).
    5. Sprache erzeugt Realität. Deine Darstellung nimmt den „Studenten“ etwas weg, mithin ihr Geschlecht. Das ist richtig, denn unsere Sprache ist ja auch im Duden schon gegendert und zwar männlich. Dass Männer das problematisch findest, hat womöglich etwas mit einem ihrer (männlichen) Privilegien zu tun, nämlich dem, dass sie in der deutschen Sprache immer inkludiert waren, während Frauen und non-binäre, intersexuelle oder fluide Geschlechtsidentitäten sich automatisch ausgeschlossen fühlen. Da sich die Sprache über die letzten hundert Jahre durchgängig geändert hat, ist es opportun sie bewusst in Richtung einer inklusiveren und sensibleren Ausdrucksweise zu verändern. Wenn ich in Audioforen wie „Clubhouse“ erlebe, wie selbstverständlich Menschen ihre Ausdrucksweisen inzwischen schon verändert haben, ist es nur eine Frage der Zeit, bis das im Duden landet. „Studierende“ nimmt ihnen also nichts weg, sondern fügt im Gegenteil etwas hinzu, nämlich Vielfalt.

    Herzlichst, Terje

    1. Danke, Terje, für Deine Ausführungen. Mit Verlaub: Beim Lesen hatte ich das Gefühl, der Herr Professor belehrt den ahnungslosen Buben eines Besseren. Ich weiß demnach nicht, ob Du mit dieser Leidenschaft die (Kern-)Zielgruppe erreichst.
      Und ein Zweites: Meine super katholische Mutter, deren 7. Todestag heute zufällig ist, hat mich schon als Fünf-/Sechsjährigen damit konfrontiert, dass ich privilegiert sein, weil es den armen Kindern in Afrika so schlecht geht. Bei mir hat das sehr früh dazu geführt, eigene Bedürfnisse nicht mehr zu artikulieren und schließlich nicht mehr zu spüren. Das musste ich mit Mitte 40 nach zwei Scheidungen sehr mühevoll wieder lernen. Die Folge: Ich bin noch heute sehr skeptisch, wenn mir Menschen mit Deiner Vehemenz einen Sachverhalt referieren. Liebe Grüße, leo

  2. Terje Lange

    Lieber Leo,

    sei mir nicht böse, aber das Thema ist mir sehr wichtig. Als Ehemann einer BIPoC und Vater eines BIPoC bin ich ständig mit rassistischen Kommentaren, diskriminierendem Verhalten und dem daraus erwachsenden Schmerz, der Wut, dem Leid konfrontiert. Mein Ringen um ihr Wohl macht mich sicher vehement und auch grimmig.

    Meine einzige Kernzielgruppe bist in diesem Fall Du. Und ich kommentiere das nur deshalb weil Du mir wichtig bist. Ich bin nicht der Professor und du nicht der ahnungslose Bub. Aber aus meiner Betroffenheit will ich Dir sagen: dein Blogpost verletzt mich, meine Frau und mein Kind. Erst gestern habe ich vor 40 Männern zum Thema “Diversität” gesprochen und dann lese ich deinen Text. Das tut mir doppelt weh, weil ich dich schätze.
    Ob du Dich durch mich belehrt fühlst, war aber gar nicht das Thema meines Kommentars und nicht deines Blogartikels. Insofern ist dieser Gedanke eher ein “Derailing”.

    Es ist sicher traurig, dass deine Mutter, Gott hab sie selig, schon früh in Dir einen positiven Umgang mit den eigenen Bedürfnissen verhindert hat, so verstehe ich Dich. Und dass du dadurch Leid erfahren hast, mithin diese Last tragen musst und auch deine Skepsis bedaure ich sehr. Es liegt mir fern das zu be- oder entwerten.
    Aber ich verstehe nicht, was dein Gefühl belehrt zu werden oder dein Leid mit dem Leid von BPoC, welches Du in deinem Post verkennst, mit Rassismus, mit dem Ablehnen und Abwerten gendergerechter Sprache und der Tatsache, dass du privilegiert bist zu tun hat.
    Es spricht auch aus mir ehrlicherweise keine Vehemenz mehr, eher Bedauern und Müdigkeit.
    Ich weiß gerade nicht, was du mir eigentlich damit sagen willst.

    Erklär es mir, wenn wir das nächste Mal spazieren gehen. Darauf freue ich mich!

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