Oft wünschen wir uns ein Haus, ein Auto oder ein Wohnmobil, weil wir damit Sicherheit oder Freiheit verbinden. Tatsächlich bekommen wir aber mit der Wunscherfüllung die Verantwortung, dass alle Versicherungen vorliegen, alle Prüfungen und Reparaturen erfolgt sind etc. und müssen dafür arbeiten, das Erworbene zu bezahlen. Ähnlich verhält es sich mit dem Wunsch nach beruflichem Aufstieg zum Projekt-, Team- oder Bereichsleiter, weil wir (uns) damit beweisen wollen, dass wir erfolgreich sind. Tatsächlich aber bekommen wir Verantwortung, effizient zu sein, von außen gesetzte Ziele zu erreichen, Menschen Druck zu machen. In Wahrheit aber wollen wir gesehen werden und gestalten können.
In der Partnerschaft suchen wir Geborgenheit und Heimat. Sehr oft aber dient der Partner primär als Projektionsfläche, die eigene Einsamkeit und den eigenen Minderwert nicht spüren zu müssen. Am krassesten ist das Mißverhältnis beim Konsum. Der neue Pullover dient der eigenen Belohnung für was auch immer. Im Kern geht es darum, mich selbst zu spüren. Durch den überflüssigen Kauf fühle ich mich – für einen Moment – mächtig. In Wahrheit weist mich mein Wünschen aber auf meinen Mangel hin: Ich mache mich bedürftig.
Zudem wohnt dem Wunsch, also dem Haben-wollen, immer die Dynamik der Zerstörung inne. Und das in mehrfacher Hinsicht. Denn die Befriedigung des Verlangens im Außen verbraucht Ressourcen. Und weil immer mehr Menschen immer größeres Verlangen haben, übersteigt die Nachfrage das Angebot der Natur an Ressourcen. Denn die Welt ist begrenzt – und empfindlich. Zugleich geht das eigene Verlangen zulasten des anderen. Denn das Team kann nur einer leiten, wenn sich mehrere um dessen Führung bewerben.
Zudem geht unser Wünschen selten mit unseren eigentlichen Interessen einher: Wenn ich zu gerne Schokolade esse und mich nicht bewegen mag, werde ich fett und krank. Oder wenn Diktaturen oder Kolonialismus enden, kommen meist nicht Frieden, Freiheit und Demokratie, sondern es brechen Rivalitäten zwischen Ethnien oder Religionen auf bis zum Bürgerkrieg. Im 18. Jahrhundert wollten die Bürger in Europa Teilhabe an der Macht und an den Privilegien der Aristokraten. Mit der Demokratie kamen aber die Nationalstaaten und mit ihnen die Kriege von 1870/71 und die beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert.
Die Auflösung, wie dem Wünschen seine zerstörerische Dynamik genommen werden kann, liegt in der Selbstvergewisserung. Das bedeutet inneres – und damit CO2-neutrales – Wachstum, Befriedung der eigenen Persönlichkeit. Herbert Marcuse (1898-1979), Mitbegründer der „Frankfurter Schule“ und des „herrschaftsfreien Diskurses“, schreibt in „Der eindimensionale Mensch“ von der „Verdinglichung“ als zentralem Begriff: Der Mensch hat sich seiner moralischen Zwänge entledigt und unterwirft sich nun dem Konsumzwang statt endlich ein freies selbstbestimmtes Leben zu führen.
Meine Vermutung: Freiheit ist eine Herausforderung, die tendenziell überfordert, weil ich dann voll umfänglich Verantwortung für mein Sein und Handeln übernehme. Dann geht es nicht mehr um passives Wünschen, sondern aktives Arbeiten an mir selbst, z.B. an meiner Selbstliebe, an meiner Treue, an meiner Verantwortlichkeit, an meiner Integrität, an meiner Feindesliebe.
Stattdessen verwirren wir uns lieber, was die Werbung subtil unterstützt: Statt frei zu sein, steht das Auto für meine vermeintliche Freiheit. Die neue Lederjacke steht für Männlichkeit. Die Designerlampe für Ästhetik etc. Dabei liegen all diese Werte in uns. Und nur dort, weil nichts von außen kommt, sondern alles von innen. In mir sind meine Freiheit, meine Schönheit, meine Männlichkeit angelegt und noch viel mehr. Deshalb meine Einladung an meine Leser zum neuen Jahr: Du bist das Geschenk – zeige Dich!