Brillianter Kopf: Johannes Kepler.

Gestern habe ich um 20.15 Uhr auf ARTE eine 1,5-stündige Dokumentation über den in Weil der Stadt geborenen Astrophysiker Johannes Kepler (1571-1630) gesehen. Das Multigenie, das in Tübingen evangelische Theologie studiert hat, hat die moderne Raumfahrt mit begründet. Von 1594 bis 1600 lehrte der Theologe im katholischen Graz Mathematik und folgte dann einem Ruf nach Prag an den Hof von Habsburger-Kaiser Rudolf II. Dort muss er in wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Kaiser lernen, mit dessen Ignoranz und der Eitelkeit etlicher Widersacher und Neider klarzukommen.

Immerhin steigt der Workoholic, der seine Frau und die beiden Kinder permanent vernachlässigt, binnen eines Jahres zum kaiserlichen Hofmathematiker auf und entdeckt bis 1612 drei wesentliche Naturgesetze, die noch heute zentral für die (bemannte) Weltraumfahrt sind. Dabei greift er auf Beobachtungen von Kollegen zurück wie Galileo Galilei oder Tycho Brahe, der ihn nach Prag geholt hatte. Während diese aber belegen wollten, dass die Erde das Zentrum des Universums sei, folgerte Kepler aus den Widersprüchen, dass dahinter ein deutlich größerer und komplexerer Plan stehen muss.

Dabei ist Kepler immer beseelt von dem Gedanken, dass allem eine göttliche Logik innewohnt. Dadurch denkt er immer größer, abstrakter und vernetzter, weshalb er schließlich die Physik als Sammlung der Naturgesetze auf Erden mit der Himmelsbeobachtung zusammenführt und dadurch belegt, dass diese Naturgesetze auch im Weltraum gelten. So gewinnt er die Vorstellungskraft, die er naturwissenschaftlich belegt, dass die Erde wie die anderen Planeten in eliptischen Umlaufbahnen um die Sonne kreisen und dabei unterschiedlich lange brauchen. Aber alles logisch und verifizierbar ist.

Das Tragische an seiner Person: Sein Umfeld, die mächtigen Eliten, erahnen allenfalls seine Brillianz und Genialität. Und statt nun ihm zu dienen, belästigen sie ihn mit ihrem Bedürfnis nach Horoskopen, weil diese vermeintlichen Christen aus den Sternen ihre Zukunft gedeutet haben wollen. So muss sich Kepler, der Entdecker auch der Logorithmen, allerlei Humbuck ausdenken, um dem Kaiser oder später im Dreißigjährigen Krieg (1618-48) Oberbefehlshaber Wallenstein Horoskope zu schreiben und auszulegen. Dazu kommen Aberglaube der Bevölkerung und Hexenverfolgung der Kirche. 1630 stirbt Kepler mit 58 Jahren in Regensburg.

Gebannt folgte ich gestern der Dokumentation, den eingestreuten Spielszenen, den Sequenzen aus der modernen Raumfahrt und den Interpretationen von Biographen und Historikern. Teils ergriffen und mit Tränen in den Augen machte ich mir das Genie bewusst, das mir – wie viele, viele andere in Philosophie, Theologie, Musik, Kunst, Medizin und anderen Wissenschaften – vorausgegangen sind. Wie viel Einsamkeit müssen sie erlebt und ertragen haben? Wie viele Selbstzweifel? Wie viel Widerstand und Neid statt Dankbarkeit! Zwischen tiefer Traurigkeit und magischer Wut denke ich dann an all die Vollidioten, die derzeit auf die Straßen gehen und teils mit dem Ruf „wir sind das Volk!“ gegen Naturgesetze etwa der Virologie demonstrieren.

Da pflegen Menschen ihre eigene Bequemlichkeit und Konsumlust; ihre Faulheit, ihren Verstand zu benutzen und ihre Selbstdisziplin zu trainieren und frönen ihrem Egoismus, den sie als „Kampf für die Demokratie“ und „für Freiheitsrechte“ verbrämen/karrikieren. Im Gegensatz zu den Menschen im Mittelalter, die Hexen verbrannten, weil sie die Zusammenhänge nicht verstanden, haben diese Mitbürger aber Zugang zu Bildung und zu freier Presse. Dabei schwächen sie unsere Demokratie, in dem sie Journalisten denunzieren, Politiker diskreditieren und die Exekutive ignorieren und verachten. Und mit genau diesem Egoismus und Rigorismus zerstören wir als Menschheit weiter unsere Lebensgrundlagen, weil wir die Geheimnisse der „göttlichen Ordnung“ mit Füßen treten – immer nur auf den eigenen, vermeintlichen Vorteil bedacht. Oh, Gott, wie ich dieses Verhalten verachte! Da hat jedes Tier mehr Verstand und Ethik. Wie kann ich mehr Liebe, Demut, Bescheidenheit und Dankbarkeit in diese Welt bringen? Wir sind doch alle Privilegierte. Und sitzen längst nur in EINEM Boot – das zunehmend versinkt.

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