Teilweise war mir zum Weinen zumute bei der Lektüre der Biographie des NS-Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer, die ich nun bereits zum wiederholten Mal gelesen habe. Der evangelische Theologe ist mit nur 39 Jahren nach zweijähriger Haft am 9. April 1945 im KZ Flössenburg erhängt worden. Adolf Hitlers Hass auf den mutigen Mann der (Nächsten-)Liebe war so groß, dass er ihn noch kurz vor dem eigenen Untergang unbedingt in den Tod reißen musste.
Theologisch und historisch weniger Informierten wird vor allem sein Gedicht „Von guten Mächten treu und still umgeben“ vertraut sein, das er Ende Dezember 1944 in höchster Verzweiflung in Gestapo-Haft verfasst hat. Heute ist es beliebt im Kontext von Beerdigungen und dient der romantischen Gestaltung erbaulicher Kalender und Poster. Tatsächlich aber zeugt es von seiner Hoffnung und seinem Vertrauen auf Gott in der totalen Einsamkeit und Ohnmacht seines Kerkers.
Dieses Bewußtsein rührt mich zu Tränen: Dass Menschen solche spirituellen Riesen sein können! Wo mich schon die Begrenzungen der Pandemie an die Grenzen der Lethargie bringen. Das beschämt mich. Dabei zeigt die von Renate Wind 1990 verfasste Biographie exzellent Bonhoeffers Entwicklung und Verfeinerung zum spirituellen Riesen auf, der die komplette Evangelische Kirche während des Dritten Reichs ob ihrer Feigheit beschämt.
1906 in Breslau in eine privilegierte Familie von Ärzten und Juristen hineingeboren, entscheidet er sich mit seinem Theologiestudium gegen den Dünkel des Großbürgertums. Ein Studienaufenthalt in Rom 1924 macht ihm bewusst, dass er Glaube und Kirche nicht getrennt voneinander diskutieren und erfahren kann, sondern beide wechselweise eine Einheit bilden, in der sich Gott selbst manifestiert. Hier reift bereits sein Ringen um die Kirche, für die er später sein Leben dauerhaft gefährdet.
Während des Vikariats in Barcelona 1928 lehrt den nationalen Demokraten ein Franzose, dass Feindesliebe über nationale Grenzen hinweg gilt. Denn der Pazifist, den er anfangs als Angehörigen des „Erzfeindvolkes“ auf Distanz hält, berührt sein Herz und lehrt ihn diese Lektion, die ihn vor der deutsch-tümmelnden Propaganda der Nazis schützt, für die auch Teile seiner Familie anfällig sind.
Bei einem Studienaufenthalt in den USA 1930 schließlich lernt er die Widerwärtigkeit der Rassentrennung kennen, die sich selbst durch christliche Gemeinden zieht. Im Verhältnis dazu relativiert sich zunächst sein Blick auf den steigenden Antisemitismus im eigenen Land, den die Rechten nun massiv schüren. All diese Erfahrungen erweitern sein Herz, befeuern seine Liebe zu allen Menschen über sämtliche Grenzen hinweg und bereiten seine innere Stärke für den Widerstand vor, den er schon bald leistet.
Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 und der Gleichschaltung ist er Teil der „Bekennenden Kirche“, die sich als Opposition zu den „Deutschen Christen“ formiert, einer Art NSDAP-höriger Staatskirche, die ihre Werte verrät und den Nazis Gefolgschaft gelobt. 1934 scheitert ein Versuch Bonhoeffers, Mahatma Gandhi in Indien zu besuchen. Diese Kontakte belegen, wie sehr sich der Theologe schon früh dem Terrorregime entfremdet.
Auch innerhalb seiner eher säkularen Familie wird er nun zum wichtigen Gesprächspartner, geht es doch zunehmend um ethische Fragen, da einzelne Familienmitglieder hohe politische und militärische Ämter innehaben. Hier sitzt der Keim für den Widerstand gegen das Regime: Diese Angehörigen haben Zugang zu Informationen, Bonhoeffer hält Kontakt zur Weltkirche und es gibt zu etlichen Widerstandsgruppen Kontakte wie etwa zur „Weißen Rose“ der Geschwister Scholl.
Im April 1943 wird Bonhoeffer von der Gestapo verhaftet und vielfach verhört. Aber erst nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 von Graf Stauffenberg, auf dessen Erfolg der Theologe gehofft hatte und in dessen Folge belastendes Material gefunden wurde („Zossener Akten“), wird er als vermeintlicher Volksverräter überführt. Damit einher geht im Oktober seine Verlegung vom Wehrmachtsgefängnis in Berlin-Tegel, wo er 1943 „Widerstand und Ergebung“ geschrieben hatte, in den Gestapo-Keller in der berüchtigten Prinz-Abrecht-Straße.
Doch auch hier schafft es der Pazifist noch, Mitgefangene und Wärter für sich zu gewinnen. Sogar zur Flucht will ihm ein Scherge verhelfen, weil die Befreiung durch die US-Armee nur noch Wochen dauern kann. Doch Bonhoeffer will seine Angehörigen nicht weiter gefährden. Im Februar 1945 folgt seine Deportation ins KZ Buchenwald und von dort über Schönberg ins KZ Flossenburg. Sein Schwager Hans von Dohnany war bereits Tage zuvor liquidiert worden. Von allen Widerständlern überlebte nur der Theologe Eberhard Bethge, der 2000 starb und Zeit seines Lebens Bonhoeffers Vermächtnis hoch hielt.