Egon Madsen als King Lear im Programmheft: Filmen und Fotografieren war verboten. FOTOS: FROMM

Ein Höhepunkt meiner jüngsten Vergangenheit war am Samstag der Besuch des Ein-Mann-Stücks „EGON king MADSEN lear“ im Stuttgarter Theaterhaus. Der 78-jährige Madsen hatte mit Regisseur Mauro Bigonzetti das William Shakespeare-Stück King Lear inszeniert, das am 19. Januar Premiere hatte. Eine Stunde bringt der Ballettmeister den alten König auf die Bühne, der sich von seinen drei Töchtern verlassen und verraten fühlt. Zwischen Allmacht und Wahnsinn taumelt der König, oft nur in einer mittelalterlichen Leinen-Unterhose, über die Bühne, die mit offenen Koffern von seiner gelebten Reise erzählt und wo von drei der acht Tonbänder immer wieder die fragenden und mahnenden Stimmen der Töchter Goneril, Regan und Cordelia erschallen.

Im Zentrum steht ein überdimensionierter Holzthron, der von der einstigen Macht des Herrschers zeugt, die er längst nicht mehr auszuüben im Stande ist. Sein Reich hat er unter die Töchter geteilt, im Glauben, dort im Wechsel seinen Alterssitz nehmen zu können. Doch die Töchter wollen nichts von ihm wissen. Ausdrucksstark in Mimik und reduzierten Gesten bringt der Däne, dessen internationale Balettkarriere 1961 in Stuttgart begann, die Verzweiflung („Wer bin ich?“), die Ohnmacht und die Einsamkeit des Alten zum Ausdruck. Immer wieder ringt er darum, nicht den Verstand zu verlieren.

Wertvolles Ticket: Sämtliche Aufführungen waren ausverkauft.

Virtuos gestaltet Madsen, der einst mit Marcia Haydée, Birgit Keil, Vladimir Klos oder Tamas Detrich gearbeitet hatte, mit einem überdimensionierten, bodenlangen Strick-Königsmantel sein Bühnenspiel. Mal ist er darin gefangen, mal wachsen ihm Flügel, mal dient er ihm, symbolisch ein letztes Mal sein Pferd zu besteigen, um in eine imaginäre Schlacht zu ziehen, in der es längst nichts mehr zu gewinnen gibt. Am Ende stirbt der König dramatisch am Fuß seines Thrones und der Tod kommt einer Erlösung aus dem Elend gleich. Sicher gut eine Minute verharrt nun das Publikum im Dunkeln schweigend auf seinen Plätzen, ehe zögerlich und dann euphorisch ein langer Schlussapplaus einsetzt.

Doch letztlich zeugt die Länge der stillen Sekunden mehr von der Ergriffenheit des Publikums als der Applaus, der den Künstler anschließend acht Mal zurück an die Bühnenkante holt. Denn das Stück, das am Sonntag letztmals aufgeführt wurde, hat viele Bezüge zur aktuellen Zeit, in der das Alter nicht mehr geehrt wird und Millionen Alte in der Demenz am Rand der (sozialen) Verwahrlosung dahindämmern. Es ist ein Stück über Treue und Verrat, Vergänglichkeit und Loslassen. Einerseits bin ich fasziniert von der Bühnenpräsenz des 78-Jährigen und seinem Mut, sich halb nackt mit dem vergänglichen Astralkörper von einst zu zeigen. Andererseits frage ich mich, was dem großen Meister bleibt und wovon er lebt, wenn eventuell am Sonntag dies sein allerletzter Applaus auf offener Bühne war.

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