Josef Schönbrunn (Mitte) verkostet mit seinem Sohn Martin (r.) und Enkel Johannes, der den Betrieb längst weiterführt, einen Rotwein. FOTO: JS

Ich war 14 Jahre alt als ich mit meinem NSU-Fahrrad die vier Kilometer von Neckarsulm nach Binswangen fuhr, um mich bei dem Weinbau-Betrieb Schönbrunn für das Traubenlesen vorzustellen. Der Tageslohn waren anfangs 25 Mark, eine Flasche Wein (die ich abends meinem Vater überreichte) und freie Verpflegung. Was ich damals nur ahnen konnte: Seniorchef Josef Schönbrunn, der am 15.01. mit 88 Jahren zuhause an Altersschwäche gestorben ist, wurde mein erster väterlicher Freund und unternehmerischer Inspirator.

Kam ich zunächst nur jährlich in den Herbstferien, um für eine Woche mit einer Crew von etwa 20 Leuten täglich von 8 bis 17 Uhr Trauben zu lesen und den Butten am Steilhang zu tragen, kam ich zunehmend auch in den Oster-, Pfingst- und Sommerferien, um Reben zu schneiden, den Boden zu kultivieren und vieles mehr. Zeitweilig erwog ich sogar, nach dem Abitur eine Weinbaulehre zu machen und Weinbau zu studieren.

Stattdessen studierte ich Theologie und wurde im neuen Weinausschank des Familienbetriebs Theken-Mann, der in den Semesterferien Weine kaltstellte (das Eis dafür holten wir noch in Säcken beim  „Fruchthof“, heute Kaufland, in Heilbronn), Gläser spülte, Getränke einschenkte, den bis zu sechs Bedienungen beim Hintragen der Speisen half und parallel im Keller kistenweise Wein verkaufte oder Bestellungen herrichtete. Hier lernte ich Kopfrechnen, Stressresistenz, Schnelligkeit, Kundenorientierung und vieles mehr.

Was mich am meisten mehr als 15 Jahre bei der Stange hielt und faszinierte, war die Unternehmerpersönlichkeit des Seniorchefs, der am 16.09.1931 geboren war, und sich in der Nachkriegszeit vom Habenichts zum ersten Wengerter am Ort (und in der Region) hochgearbeitet hatte. Schon als Jugendlicher unter vielen anderen Erntehelfern spürte ich seine Wertschätzung für mich und genoss es, wenn er mich den Traktor fahren lies, für „Spezialaufgaben“ auswählte („Leooo, kumm‘ mole her!“) oder mir den Platz an seiner Seite bei Mahlzeiten, die es reichlich gab, anwies.

Mein Highlight waren die Phasen als anarchistischer Theologiestudent in Tübingen und Wackersdorf-Demonstrant, wenn ich mit dem eingefleischten Konservativen stundenlang zu zweit in den Weinbergen die endlos scheinenden Rebzeilen bearbeitete mit Blick auf das Weinsberger Kreuz: Wir in der Sonne und der Stille der Landschaft in gleichförmiger Arbeit geradezu philosophisch disputierend und drunten die tausenden Autos, die pausenlos dahinjagten. Wir dagegen waren ganz bei uns selbst und unseren (damals noch) unterschiedlichen Weltansichten.

Ich mutete dem schlichten Katholiken Hegels Trinitätsspekulation zu und die These, dass auch die Massenmörder Adolf Hitler und Josef Stalin im Himmel sind, weil „das Böse“ theologisch „lediglich“ die maximale Gottesferne sei, die der Mensch – zu Lebzeiten – frei wählen kann. Und er erklärte mir am Beispiel seines Betriebs unsere (soziale) Marktwirtschaft, die Steuergesetzgebung, sein Verständnis von Marketing, Unternehmertum, Risikobereitschaft, (Un-)Gerechtigkeit, wie er auskömmliche Gewinnmargen erzielt oder einen guten Umgang mit seinem Produkt Alkohol pflegt, schließlich hätten sich viele in der Branche um den Verstand gesoffen und dabei nicht selten Haus und Hof verloren.

Dass ich nach dem Studium als trinkfreudiger Theologe Redakteur wurde und schon bald ins Ressort Wirtschaft ging, dafür hat Josef Schönbrunn den Grundstein gelegt. Bei ihm habe ich gelernt, wie vielschichtig „Wirtschaft“ ist, wie groß die Gestaltungsspielräume sind, wie man mit Großzügigkeit und Herzlichkeit Menschen führt und motiviert und wie wichtig es ist, gegen den Mainstream eine eigene Überzeugung und Vision zu haben und diese zu leben.

Als Beispiel sei hier genannt, dass er nach der Währungsreform 1948 – ohne eigene Weinberge zu besitzen – sich von den ersten D-Mark und einem Kredit, auf den er zehn Prozent Zinsen zahlen musste, einen Hänger kaufte. Im Dorf lachten die Etablierten über wahlweise so viel Unvernunft oder Hochmut. Josef Schönbrunn aber verlieh seinen Hänger täglich an einen anderen Wengerter und hatte schon bald sein Invest refinanziert. Sein Sohn Martin wundert sich, dass ich heute noch unzählige Details und Anekdoten von damals weiß.

Ja, sein Vater verkörperte Anteile, die ich bei meinem eigenen Vater (Jg. 1919) sehnlich vermisste: Business-Kompetenz, Cleverness, Weitsichtigkeit, Risikobereitschaft. Dass ich mich 2002 recht erfolgreich als PR-Berater selbstständig gemacht habe und seit 2015 auch als Teamentwickler und Coach arbeite, daran hat Josef Schönbrunn maßgeblichen Anteil. Und weil ich in seiner Besenwirtschaft 1985 meine erste Frau kennengelernt habe, trägt mein 30-jähriger Sohn den Zweitnamen Josef als Referenz an ihn.

Ruhe in Frieden, mein väterlicher Freund, Josef Schönbrunn. Du warst ein wundervoller, großzügiger, streitbarer Demokrat. Und ich bin dankbar, dass ich zu Deinen Kindern und Enkeln noch Kontakt habe – und Dein Riesling trocken noch immer der Beste in ganz Württemberg ist. Wir werden diesen am Dienstag nach Deiner Beerdigung in Deinem Besen auf Dein Wohl verkosten.

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