Gestern Abend habe ich in Eislingen den Comedian Nikita Miller kennengelernt mit seinem Programm „Auf dem Weg ein Mann zu werden.“ Der knapp 90-minütige Auftritt des rußlanddeutschen Geschichtenerzählers war echt ein Erlebnis in der nahezu ausverkauften Stadthalle. Der Grund: Der Hüne reiht nicht Gag an Gag und Pointe an Pointe, sondern erzählt Geschichten aus seiner osteuropäisch geprägten Kindheit. Das erinnert mich formal über weite Strecken an Marc-Uwe Klings Känguruh-Reporte, aber inhaltlich finde ich diese komplexe Erzählkunst mit den verschiedenen Gang-Figuren Oleg, Viktor und Nikita als deren Anführer brilliant. Denn Millers schamfreie Offenheit, wie es in seinem Elternhaus zuging, ihn die russische Seele prägte und er in seinen Projektionen ein cooler Rapper sein wollte, hat etwas entwaffnend Sympathisches.
Man glaubt, den Typ auf der Bühne oder dessen Alter Ego, den schwäbisch-bürgerlichen Lars, der zur Gang gehören möchte, schon mal getroffen zu haben und aus dem eigenen Alltag zu kennen. Dass sich der Comedian an der ein oder anderen Stelle verhaspelt beim maschinengewehrsalvenartigen Erzählen seiner Anekdoten und Schildern der verschiedenen Charakteren, stört die Aufmerksamkeit des Zuhörers in keinster Weise. Der ist ohnehin fasziniert von der Bühnenpräsenz des Nachwuchskünstlers, der ohne Punkt und Komma einfach auf seinem Barhocker sitzt, ohne jede Requisite oder externe Unterstützung, und seine Storys unters Auditorium pflügt, das er im Dunkeln und gegen die Bühnenbeleuchtung vermutlich nur erahnt.
Hinzu kommt, dass auffallend wenig geklatscht wird, ohne dass dies peinlich wirkte. Die konzentrierte Stille und die vereinzelten Lacher zeugen viel mehr von der Konzentration, Tiefe und Dichte, die der Künstler zu erzeugen in der Lage ist. Denn in vielen Schilderungen, wie die Jungs sich dem Gruppenzwang beugen, um etwa in der Schule nicht als Streber zu gelten oder ihre wahren, zärtlichen Gefühle für Mädchen unterdrücken, erkennen sich die Zuhörer wieder, deren Spektrum tatsächlich vom 18- bis zum 80-Jährigen reicht. Damit trifft er sehr präzise, ohne banal oder schwuchtelig zu werden, das Motto seines Programms: „Auf dem Weg ein Mann zu werden.“
Als 56-jähriger Gestalltherapeut und Männer-Coach sage ich: Gute Arbeit, Nikita. Und eine seiner Figuren lässt der Erzähler sich den Ratschlag erteilen, der zu Authentizität führt, die der junge Mann gefunden zu haben scheint: „Hör endlich auf, deine Zeit damit zu verschwenden nach der richtigen Frau zu suchen. Versuch stattdessen endlich mal zum richtigen Mann zu werden.“ Seine Tour hat eben erst begonnen. Weiter geht es morgen in München. Viel Erfolg und gute Reise, junger Freund!