Am Tag danach: So vermüllt und verdreckt sieht es am Remsufer vor unserem Büro nach lauen Sommernächten fast wöchentlich einmal aus. FOTO: FROMM

Fast täglich räume ich am Tag nach lauen Sommernächten, wie wir sie derzeit seit Monaten haben, den Platz auf dem Firmengelände, das 20 Meter hinter meinem Büro lauschig direkt an der Rems liegt, von Zigarettenschachteln, Pizzakartons, Vodka-Flaschen u.v.m. Einmal pro Woche sieht es im Schnitt sogar so extrem aus wie heute morgen auf diesem Bild.

An einem Sonntagmorgen habe ich jüngst die Polizei verständigt, weil ein gelbes Post-Dienstfahrrad mit Akku in der Rems lag. Es war von der Brücke, die auf dem Gelände die beiden Gebäudeareale miteinander verbindet, rund fünf Meter in die Tiefe geworfen worden. Die Polizisten lud ich ein, gelegentlich um 22 Uhr oder später hier vorbeizuschauen, um solche Saufgelage aufzumischen.

Nachmittags war immerhin das Fahrrad bereits weg, aber vermutlich kommt die Polizei nie, allein schon, weil dies ein (sehr gut zugängliches) Privatgelände ist. Deren Auftauchen würde auch wenig bringen und selbst vergesse ich abends stets, um 22 Uhr mal hier aufzukreuzen, um die jungen Leute kennenzulernen und mit ihnen zu sprechen (solange sie noch ansprechbar sind).

Sehr gerne würde ich ihnen sagen, dass mich nicht ihre Präsenz stört. Aber ich würde gerne wissen, warum sie den Platz meist so verlassen. Denn hertragen konnten sie ihre Verpackungen und Gebinde ja auch. Und: Der Hausverwalter hat sogar eine Mülltonne daneben aufgestellt (was ich nicht getan hätte). Ich würde also mit den jungen Leuten über ihre Destruktion und den Verein Geo-cleaner sprechen wollen, dem ich angehöre.

Eine Idee habe ich bereits: Denn das äußere Bild, das ihre Hinterlassenschaft abgibt, ist m.E. ein Spiegel ihrer Seele: Chaos, Verzweiflung und Zerstörungswut. Diese richtet sich zwar formal gegen das Gelände und die mäandernde Rems, die an dieser Stelle voller Scherben ist, weil die jungen Leute viel Unrat auch die Flussböschung hinab werfen (von wo der Müll noch schwieriger zu bergen ist). Ihre Zerstörungswut richtet sich aber vor allem gegen sie selbst.

Denn wer vier, sechs oder acht Vodka-Flaschen zzgl. jeder Menge Wein (billigster Fusel) und Bier konsumiert, der kann sich nur noch „selbst abschießen“ wollen, um der Realität zu entkommen. Diese Säufer und Umweltzerstörer machen sich also zu (lästigen) Opfern, deren Verwüstungen ich als Hilfeschreie interpretiere. Vermutlich sollte ich doch bald mal abends hier vorbeikommen und mit den jungen Leuten reden oder sie zumindest „unter denTisch saufen“, um ihr Vertrauen zu gewinnen.

Denn was die jungen Leute wirklich brauchen, sind Erwachsene, die ihnen zuhören, sie unterstützen, loben, bestärken u.v.m. und dann aber auch ihnen den Spiegel vorzuhalten, dass sie eben keine kleinen Opfer und Verlierer sind – zu denen sie sich selbst machen. Wir könnten bspw. an einem Samstag gemeinsam ein Stück des Remsufers von Unrat befreien. Der städtische Bauhof könnte ein Vesper spendieren und der Oberbürgermeister den jungen Leuten für ihren Einsatz danken. Dann würden sie spüren, dass sie wichtig sind und diese Gesellschaft sie braucht.

Nebenbei würden wir erfahren, wer Mathe-Nachhilfe braucht, um eine Prüfung zu bestehen. Wer einen Praktikumsplatz braucht, um evtl. eine Lehrstelle zu bekommen. Oder wer dringend zuhause raus muss, weil der Vater gewalttätig ist oder die Mutter schwer krank, auf Hartz IV und/oder Alkoholikerin. „Wir sind das Volk!“ haben unsere ostdeutschen Brüder und Schwestern vor der Wende 1989 gerufen. Diese Energie brauchen wir jetzt wieder, damit nicht das Gros einer ganzen Generation abschmiert.

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