Unter der Überschrift „Journalisten, nehmt die Masken ab!“ hat die junge Journalistin Alena Jabarine auf Zeit-online eine kontroverse Debatte ausgelöst. Der Grund: In einer Dokumentation über syrische Flüchtlinge umarmte die Nachwuchskollegin vor laufender Kamera spontan einen jungen Betroffenen beim Abschied.
Dafür von erfahrenen Kollegen kritisiert, kontert sie nun in dieser Kolumne mit besagtem Appell, dass auch Berichterstatter Betroffenheit zeigen dürften oder sogar sollten. Nun wiederholt sich diese spannende Kontroverse im Forum des Online-Portals. Was mir dabei vor allem ins Auge sticht: Etliche Kritiker argumentierten mit ihrem Recht auf „objektiven Journalismus“.
Ich verstehe, was diese Kritiker meinen und muss doch ergänzen, dass es „objektiven Journalismus“ gar nicht gibt – die meisten Redakteure aber genau diesen sich oder zumindest anderen vorgaukeln. Da ist mir die spontane Umarmung einer jungen Kollegin, die noch nicht abgebrüht ist, lieber.
Sie ist wenigstens angreifbar für das, was sie getan hat, weil sie sich zeigt. Erst in der Geste und nun auch in diesem Appell. Somit kann man sich auseinandersetzen. Die Realität sind eher Kollegen, die ihre Vorstellung, wie eine Nachricht auszusehen hat, schon im Kopf haben, bevor es los geht. Sie wissen intuitiv, wer die Bösen und wer die Guten sind.
Das ist jetzt polemisch formuliert, aber in meinem bald 30-jährigen journalistischen Berufsalltag habe ich sehr oft Kollegen und Situationen erlebt, in denen Redakteure nicht zugegeben haben, dass sie etwa auf einer Pressekonferenz nicht richtig gehört oder akustisch oder fachlich verstanden haben. Das bleibt dann einfach weg.
Oder SPD-wählende Kollegen, denen ich die charakterliche Eignung abspreche, über eine AfD-Veranstaltung fair zu berichten, weil sie ihre Gesinnung (ihre Projektionen) nie reflektiert haben. Je nach Ausprägung schaffen manche deshalb schon keinen fairen Bericht über die CDU, die CSU oder ein Arbeitgebertreffen. Und leider funktioniert das auch oft umgekehrt mit konservativen Autoren.
Und ich weiß, wovon ich spreche, weil es mir in meinen ersten Berufsjahren teils ähnlich ging. Gegenüber Lehrern, Bankdirektoren oder Mächtigen generell habe ich meine (Macht-)Position als Redakteur mißbraucht, um mich für erlebte Ohnmacht in der Schule (Sitzenbleiber) oder bei politischen Demonstrationen (Wackersdorf) zu rächen. Nur schauen sich diese Zusammenhänge die wenigsten Redakteure an.
Zum Glück hatte ich Ausbilder, die mir diesen verengten Blick aufgezeigt haben. Hilfreich war aber auch mein Leben, in dem ich immer seltener in schwarz und weiß dachte, weil ich eben gegenteilige Erfahrungen gemacht hatte. Als Konsequenz wurde ich noch kritischer, hellhöriger, wachsamer. Und weil ich eitel war und bin, wollte ich den bestmöglichen Journalismus liefern – und dafür braucht es Offenheit und radikale Ehrlichkeit zu mir selbst.