Oft beklemmende Stille im Saal: Wenn bei der Tagung queere Menschen von ihren persönlichen Erfahrungen berichten. FOTOS: FROMM

Betroffene Stille herrschte während der zweitägigen Tagung „Queere Menschen und die Kirchen“ in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Hohenheim vom 21. bis 23.  November immer dann, wenn einer der rund 100 Teilnehmer, davon 20 Referenten, darüber sprach, wie es ihm persönlich als lesbische Pfarrerin oder transsexueller Christ geht. Jede dieser Erzählungen war von Heimlichkeit, Beschämung und Angst um den Arbeitsplatz und die Zugehörigkeit zur Gemeinde geprägt.

Die Tagung stellt Öffentlichkeit her: Betroffene und Experten teilen ihre Ein- und Ansichten und vernetzen sich.

Wie ein roter Faden zog sich dabei die Historie von der Antike bis zur Neuzeit durch die Veranstaltung, um zu verstehen, weshalb sich Kirche und Gesellschaft zunehmend für die sexuelle Orientierung von Menschen, vor allem der Männer, interessierten und diese immer mehr reglementierten, Abweichungen diskriminierten und spätestens mit dem „Schwulen-Paragrafen“ 175 von 1871 bis 1994 gesellschaftlich kriminalisierten und dämonisierten.

Dafür hatte die Katholische Kirche die Grundlagen geschaffen, wie etwa der Bamberger Historiker Prof. Klaus van Eickels ausführte. So habe der Apostel Paulus in seinem sogenannten „Lasterkatalog“ in 1 Kor. 6,9 oder 1 Tim. 1,10 den Versuch unternommen, die kulturellen Unterschiede zwischen Juden und Heiden, die Christen wurden, miteinander zu versöhnen. Dabei sei es nicht um die Sexualität unter gleichberechtigten Männern gegangen, sondern um Praktiken mit männlichen Kindern oder Sklaven, die eben „nicht auf Augenhöhe“ waren.

Kirchenvater Augustinus, der im 4. Jahrhundert das Christentum als staatstragende Religion untermauern wollte, führte demnach den Begriff der Begierde in die Theologie ein. Da sie den Menschen von seiner Ebenbildlichkeit Gottes trenne, gelte es, sie zu bekämpfen. Damit sei der Gott der Christen den Göttern der Heiden überlegen, von denen viele gemäß der Mythen sexuell aktiv gewesen seien. Nochmals verfeinert hat dann Kirchenlehrer Thomas von Aquin die Sexualmoral im 12. Jahrhundert in der Scholastik, also der Rechtfertigung des Glaubens durch die Vernunft.

Er lässt nur die Ehe gelten, um die Sexualität in geordnete Bahnen zu lenken, und definiert für sie drei Ziele: Fortpflanzung; Treue und Vermeidung von Unzucht, die den Menschen vom Tier unterscheide; und schließlich das Ehe-Sakrament als Zeichen der Liebe Gottes. „Die Scholastik erklärt die Homosexualität für widernatürlich, weil sie nicht der Reproduktion dient,“ so van Eickels. Eine Abwertung erlitt sie auch, weil die Bauern Erntehelfer brauchten und die Fürsten Soldaten. Als in der Industrialisierung Kinder als Helfer unwichtiger wurden, wurde die Ehe romantisiert und homosexuelle Männer wurden entmaskularisiert. Die Nationalsozialisten verschärften entsprechend nochmals das Strafrecht gegen schwule Männer und in christlich-konservativen Kreisen hielt sich das Narrativ teils bis heute und wird aktuell befeuert durch rechte Tendenzen in vielen Demokratien.

Parallel zu dieser Entwicklung hatte die Deutsche Bischofskonferenz 2023 ein deutlich liberaleres Arbeitsrecht eingeführt, das die Diskriminierung kirchlicher Mitarbeiter weitgehend beendet. Seither sind die religiöse oder sexuelle Orientierung nur noch auf Leitungsämter beschränkt. Die Tagung in Hohenheim aber machte in nahezu allen Referaten deutlich, dass es queeren Menschen nicht nur um ihre Duldung geht, sondern um ihre Akzeptanz als gleichberechtigte Brüder und Schwestern, die in den Gemeinden und Kirchen willkommen sind, sich zeigen dürfen und gesehen werden.

So war die Kampagne www.outinchurch.de, mit der sich 2021 weit mehr als 100 kirchliche Mitarbeiter als schwul, lesbisch, trans- oder intersexuell outeten, der Auslöser für die Tagung, wie der Bildungsreferent der Akademie, Dr. Johannes Kuber, bei deren Eröffnung erzählte. Auf das Outing hätten die katholische Akademie Hohenheim und ihr evangelischen Pendant in Bad Boll mit einer ökumenischen Abendveranstaltung reagiert. Deren Zuspruch sei „so überwältigend“ gewesen, dass man sich entschlossen habe, mit weiteren Partnern wie der Landeszentrale für politische Bildung oder dem Verband Queere Vielfalt eine Tagung zum Thema zu machen.

Das Fazit der Tagung war vielfältig: So machten die Referate und die Teilnehmer aus dem gesamten deutschsprachigen Raum deutlich, dass die „queere Community“ weder eine homogene Gruppe ist, noch durchgängig gemeinsame Ziele hat. Waren die einen „es leid, weiter um die Akzeptanz meiner Kirche zu kämpfen“, sprachen andere von „unserer prophetischen Aufgabe, uns zuzumuten und dranzubleiben.“ Auch wurde deutlich, dass oft die Kirchenleitungen zwar nicht mutig, aber verständig sind, während von Mitchristen in den Gemeinden oft offener oder verdeckter Widerstand droht.

Dr. Andreas Heek, Pastoraltheologe und Queer-Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz, machte in seinem Schlußwort deutlich, dass die Homophobie nicht nur ein kirchliches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Thema sei. Deshalb lohne sich das Engagement in dieser Thematik – und die Community komme dabei voran. So diente die Veranstaltung auch der bundesweiten, ökumenischen und interdisziplinären Vernetzung von Initiativen Betroffener, von forschenden Historikern und Theologen, Archivaren, Lehrern und kirchlichen Hauptamtlichen.

1 Comment

  1. Robert Michor

    Schön, dem Thema Zeit für eine ausführliche Tagung und damit Wertschätzung zu geben!
    Danke für den achtsamen Artikel!

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