Mit großem Vergnügen habe ich heute früh den Selbsterfahrungsbericht von Kollege Raphael Binkowski in der „Stuttgarter Zeitung“ gelesen, der sich über ein Wochenende einen feuerroten Porsche Targa gemietet und damit 1500 Kilometer u.a. zu seinen Eltern, Freunden und an seinen früheren Arbeitsplatz gefahren ist. Sein Fazit: Das schnelle Auto habe etwas mit ihm gemacht und auch er sei anders, nämlich respektvoller, wahrgenommen worden.
Die Schilderungen erinnern mich an meine Selbsterfahrungen mit schnellen Autos. Erstmals Porsche fuhr ich als Student, weil mein Freund Erich einen Gebrauchten hatte, den er als Firmenwagen nutzte, zumal er die hohen Tankrechnungen steuerlich absetzen konnte. Sein Argument damals: Ein gebrauchter Golf wäre in der Anschaffung auch nicht günstiger gewesen. Mit diesem „Geschoss“ (ein 944er?) fuhr ich auf der Landstraße bei Tübingen mehr als 100 km/h – im dritten Gang. Ich merkte das nicht, weil das Getriebe so elastisch war.
Als Freiberufler war ich mal zum Sommerfest eines Kunden eingeladen, der mit Porsche kooperierte, um seinen 80 Gästen ein Vergnügen zu bereiten. Im Vorfeld konnte man sich wie in einen Stundenplan eintragen, wann man welches Modell fahren wollte. Ich bestellte und bekam den Klassiker, einen 911er mit „Doppelkupplungsgetriebe“, der damals ganz neu auf dem Markt war. Zwar interessiere ich mich nicht für Autos und verstehe deren Technik nur marginal, aber den Begriff „Doppelkupplungsgetriebe“ kann ich mir seither merken.
Für je eine Stunde fuhren wir im Konvoi davon, was sich allein schon imposant und mächtig anfühlte. Auch wir gingen bei Bad Boll Richtung Plochingen auf die A8, weil dort kein Tempolimit herrscht, und ich weiß noch, dass ich wie ein hungriger Wolf sofort von der Auffahrspur in einem Rutsch binnen 100 Metern über drei Fahrstreifen auf die ganz linke Spur zog. Zwar sah ich im Rückspiegel dort Autos den Albaufstieg herunterbrettern, doch „mein“ 911er war schon fast aus dem Stand schneller und glitt regelrecht wie ein Panther über den Asphalt.
„Ganz links“ machte ich bei 180 km/h die Erfahrung, dass vor mir rasende Autos gleichsam vorauseilend nach rechts zogen, um uns passieren zu lassen und dem Porsche zu huldigen. So betätigte ich weiter sanft das Pedal und wir kamen auf 200 und 220 km/h, wo mich dann der Mut verließ für eine noch höhere Geschwindigkeit. Stattdessen probierte ich den Wagen noch etwas aus und zündete den Turbo bei 180 km/h, weil ein „Kollege“ rechts neben uns aufschloss. Diese entfesselte Gewalt war für mich so unglaublich wie der erste Start eines Flugzeugs, in dem ich saß.
Dasselbe erlebte ich nochmals am Steuer einer S-Klasse, mit der wir zu fünft zum Wandern in die Alpen fuhren. Die tonnenschwere „Protzkarre“ gehörte dem Vater eines Wanderkollegen. Und einmal gab mir ein Autohaus übers Wochenende einen Audi TT mit, von dem ich schwärmte, nachdem er neu auf den Markt gekommen war. Mit meinem (Stief-)Sohn, der auch bei der Porsche-Spritz-Tour dabei war, nutzen wir auch diese automobile Option.
Das alles ist über zehn, 15 Jahre her und mir heute auch nicht mehr wichtig. Ich habe einige Freunde und Kunden, die Porsche fahren oder auch Ferrari oder Lamborghini. Oder früher auch mal einen R8 oder Phaeton. Jetzt fahren auch einige Tesla. Deren Autos spielen in unserer Beziehung schon allein deshalb keine Rolle, weil ich mit diesen Prestigesymbolen nicht in Resonanz gehe. Außerdem sind die meisten Fahrzeuge geleast und sagen nur wenig über den (beruflichen) Erfolg eines Menschen aus. Mehr noch: Ich kenne etliche Ex-Fahrer solcher Autos, deren Firmen insolvent gingen. Vermutlich, weil sie in ihren Betrieben mehr ausgegeben als eingenommen haben und/oder lieber Auto fuhren als zu arbeiten.
Was ich als Therapeut dazu sagen möchte: Ich habe Männer, z.B. Unternehmensberater und/oder Interimsmanager, kennengelernt, die wohl sehr gut bezahlt wurden, sich aber nach Abschluss eines Mandats einen neuen Porsche oder ein anderes Luxusauto kauften, um sich quasi für den Stress und Ärger zu belohnen, den sie über Monate ertrugen. Manche hatten sogar echte Geldschwierigkeiten, weil sie auch noch Garagen neu bauen mussten, wo die vielen Autos sicher unterkamen etc.
Ein Unternehmer erzählte mir von seinen Selbstzweifeln, die ihn fast täglich begleiteten. Vor schwierigen Verhandlungen oder Gesprächen fahre er dann zu seiner Garage aufs Land, in der wohl rund 20 Premiumfahrzeuge und hochwertige Oldtimer standen. Dort gehe er von Auto zu Auto, streichle deren Karossen, inhaliere deren (Leder-)Interieur oder lasse auch mal einen Zwölfzylinder „aufjaulen“, um dessen Kraft zu spüren. Dann sage er sich: „Wenn ich das alles besitze, kann ich kein allzu großer Loser sein!“ Und dann fahre er ins Büro und nehme seinen Termin wahr.
Ja, ich glaube, dass diese Autos für etwas stehen. Übrigens auch die fetten SUVs, in denen der Fahrer/die Fahrerin erhöht sitzt und sich geschützt fühlen kann. Ich glaube aber weniger, dass sie für Erfolg, Ästhetik oder gar Freiheit stehen. Das mag vereinzelt und anteilig auch der Fall sein. Ich glaube viel mehr, diese Autos stehen sehr oft für schwachen Selbstwert und hohe Bedürftigkeit (mit Tendenz zur Geltungssucht). Diese Karossen müssen dann etwas kompensieren, z.B. die fehlende Liebe/Anerkennung des eigenen Vaters, ein Scheitern während der Schulzeit oder im Studium, die Zurückweisung eines geliebten Menschen.
Dasselbe denke ich übrigens bei Statussymbolen wie Villen, zumal wenn es die zweite oder dritte ist; Yachten und Privatjets etc. Letztlich ist das alles Ballast (und Ressourcenverschwendung), um den man sich kümmern muss. Ich finanziere über die gesparte Leasingrate für ein „dickes Auto“ z.B. eine Eigentumswohnung, die ich sozialverträglich vermieten kann – und die unsere Gesellschaft ohnehin braucht. Mein Firmenwagen ist ein Skoda Fabia mit der schwächsten Motorisierung für 7900 Euro netto neu. Und da ich zur S-Bahn nur zehn Gehminuten habe, nutze ich überwiegend den ÖPNV (mit Bahncard 50). Und jede politische Entscheidung gegen das Auto hat meine Unterstützung.