Der Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech fordert, wir Deutschen sollten uns etwa in der Diskussion um Klimaziele angesichts der Bedrohung durch die Klimaerwärmung gegenseitig mehr zumuten: Etwa den Nachbarn fragen, warum er noch immer einen spritfressenden SUV fährt; den Arbeitskollegen, warum er zum Meditieren nach Goa fliegt; den Schwager, warum er noch immer täglich Fleisch ist oder den Bekannten, warum er wiederholt eine Kreuzfahrt bucht.
Und egal, ob Kommentatoren in den Medien, z.B. Klaus Köster am 25. Juli in den Stuttgarter Nachrichten, Stuttgarts IHK-Hauptgeschäftsführer Johannes Schmalzl (FDP), Industrievertreter oder Spitzenpolitiker von FDP oder CDU: Wenn man Ökonomen wie Paech oder Ulrich von Weizäcker Recht gibt, gilt dieses Verhalten als übergriffig und belehrend. Es wird gedroht, dass der Wirtschaftsstandort zusammenbreche und wer für konsequenten Klimaschutz ist, die Verarmung der Gesellschaft in Kauf nehme.
Und ich werde belehrt, wohin Bevormundung und Belehrung der Menschen im Sozialismus geführt haben – in die DDR und andere osteuropäische Zwangssysteme, die noch viel größere Umweltzerstörer waren als der Kapitalismus, dem immerhin die Innovationskraft der Veränderung innewohnt. Aber wer definiert, welche Veränderung eine Verbesserung ist? Der „Markt“? Und welche Mitsprache hat neben Mensch und Kapital die Umwelt?
Fakt ist, ich wähle Die Linke bis heute nicht, weil ich im Gegensatz zu vielen Wessies meine halbe Kindheit in der DDR-Diktatur bei Verwandtenbesuchen verbracht habe. Ich vergesse nie, wie dreckig es dort ausgesehen, wie es gestunken hat und wie bedrückt die Menschen waren. Jetzt fahre ich auf süddeutschen Autobahnen nur noch an Gewerbegebieten vorbei. Immer mehr ist verbaut und verdreckt (z.B. durch Plastik- und anderen Konsummüll).
Ich glaube nicht mehr an die Freiheit des Einzelnen, seine Selbstbegrenzung aus Verantwortung und damit an seine Vernunft und Selbstdisziplin. Ich bin zu gut gebildet und zu gut informiert, als dass ich noch Hoffnung hätte. Wir haben uns an Katastrophenmeldungen bzgl. Umweltzerstörung gewöhnt und schauen der Fridays-for-future-Bewegung schon wieder halb gelangweilt zu, ob sie „es“ schaffen werde. Statt deren Inhalte zu befolgen, diskutieren wir, ob das Schwänzen sei und somit eine Ordnungswidrigkeit, die zu ahnden ist.
Währenddessen erschließen wir neue Bau- und Gewerbegebiete, womit wir noch mehr Agrarflächen versiegeln; melden die Flughäfen Rekordzahlen und wählen selbst die Demokratien Narzisten und Psychopathen wie Donald Trump, Boris Johnson oder Jair Bolsonaro, der in Brasilien die Tropen weiter roden lässt. Und: Die Weltbevölkerung steigt um weitere zwei Milliarden bis 2040; in Asien, Afrika und Südamerika wächst eine Mittelschicht von 2,6 Milliarden Konsumenten heran, die die nächsten 30 Jahre so leben wollen wie wir die vergangenen 30 Jahre. Realistisch ist bis 2100 eine Erderwärmung um acht Grad und in Alaska brennen bei Rekord-Plus-Temperaturen ohnehin bereits die Wälder! Der Automatismus läuft gerade erst an.
Wer 2070 oder 2100 noch leben will, muss wahnsinnig sein oder unwissend. Ja, die freie Welt verblödet die Menschen weiter und die Diktaturen halten sie unwissend. Parallel setzt das überwunden geglaubte Wettrüsten wieder ein, weil jetzt auch China, Indien und andere voll umfänglich „autonom“ und „souverän“ sein wollen. Wo bleibt die Friedensdividende nach 1989, mit der wir Hunger und Analphabetismus in der Welt überwinden wollten? Den Primat der Politik haben übrigens nur noch Diktaturen wie China, die mit einem Federstrich Verbote aussprechen und Umweltschutz erzielen können.
Ich hoffe, dass mich meine zeugungsfähigen Kinder nicht mehr zum Opa machen. Aber das müssen sie selbst wissen. Ich jedenfalls will etwaigen Enkeln und allen anderen noch unschuldigen Kindern diesen Wahnsinn, diese Ignoranz, diesen Egoismus und die damit verbundenen Schmerzen ersparen. Denn bald werden bspw. nicht mehr hunderttausende, sondern Millionen Flüchtlinge nach Europa und Nordamerika drängen. Müssen meine Enkel dann auf sie schießen? Oder was ist der Plan?
Und ich halte emotional Hassprediger, Mauerbauer und Spalter wie Gauland, Höcke, Salvini & Co. nicht mehr aus. Ich will in deren Welt nicht leben. Das Schöne an dem Klima-Szenario: Die Hetzer und Profiteure krepieren alle mit. Die Milliardäre und meine Widersacher auch. Denn keiner kann sich mehr freikaufen. Das finde ich fair, ehrlich, demokratisch und tröstlich.
Aber natürlich zahle ich weiter pflichtbewusst meine Immobilienkredite ab, gehe zur Arbeit und stifte als Therapeut Menschen in Krisen Hoffnung. Denn mein Leben erachte ich für ökologisch und moralisch integer. Ich habe keine Veranlassung, an meinem Lebensstil etwas zu ändern. Mein biologischer Fußabdruck dürfte weltkonform sein – und damit 70 % unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Was ich im Herzen trage, ist ganz viel Liebe. Und Trauer, die ich in diesem Beitrag als Wut sichtbar mache, über das Unvermögen unserer Gattung, die doch mit soviel Intelligenz und Empathie ausgestattet wurde. Diese Liebe und Empathie teile ich mit Menschen, die auch lieber Gemeinschaft, Wertschätzung, Teilhabe und Zuwendung leben als materiellen „Wohlstand“.
Was für ein dämliches Wort, Wohl-stand, wenn es kaum mehr Tiere, intakte Landschaften und beseelende Wälder gibt. Alles tot. Denn es ging ja im Zweifel immer wieder „um Arbeitsplätze“. Karl Marx kannte leider nur die Faktoren Arbeit und Kapital. Die Natur, z.B. Sauerstoff und Trinkwasser, ist aber der dritte zentrale Faktor. Unsere konservativ-liberalen Parteien haben Recht behalten: Wir sterben in vollkommener (Konsum-)Freiheit, die besser Gleichgültigkeit hieße. Ja, es gibt ein Recht auf Dummheit und Ignoranz. Das auszuhalten, ist mein demokratischer Beitrag.