Die Nachricht von der brennenden Notre-Dame hat mich am Montagabend zu Tränen gerührt. Sie war für mich ein Symbol, dass das Christentum und die Welt (Klimawandel) vor dem Untergang stehen. Nicht akut, aber schleichend. Als ich dann hörte, wie aufopferungsvoll bis riskant Feuerwehrleute löschten, um den größten Schaden zu verhindern und dass dieser bereits 15 Minuten nach der aktuellen Löschung eingetreten wäre, fuhr mir ein Schauer der Ehrfurcht über den Rücken und ich bedauerte meinen Pessimismus und Fatalismus von zuvor. Mehr noch, als ich die Reaktionen aus der ganzen Welt hörte – und diese Verbundenheit mit dem Sakralbau aus dem 12. Jahrhundert.
Plötzlich sah ich eine Chance, dass die Gelbwesten ihren egoistischen Protest, weiter günstig Auto fahren zu wollen, im Licht größerer Herausforderungen aufgeben könnten. Und dass die Nationalisten und EU-Kritiker erkennen könnten, wie unermesslich groß und vielfältig unsere Wertegemeinschaft in Europa ist und wie protektionistisch, kurzatmig und kleinkarriert ihr Widerstand dagegen. Es geht doch nicht immer um den eigenen, unmittelbaren Vorteil. Zu meinem Wohlgefühl gehören – neben Artenvielfalt – auch Baudenkmäler wie Notre-Dame, der Buckingham Palace und viele Gebäude und Denkmäler mehr, die unsere gemeinsame Kultur und unsere freiheitlichen Werte widerspiegeln.
Vor diesem Hintergrund freute mich, als die ersten Spendenzusagen zum Wiederaufbau der gotischen Kirche an der Seine kamen, so etwa die 100 Millionen Euro der französischen Milliardärsfamilie Pinot. Denn mit 100, 1000 oder sogar 10.000 Euro, die ich und andere einfache Bürger eventuell aufbringen könnten (womöglich im Verzicht auf andere Förderziele), kommt man angesichts dieses Schadens nicht weit. Klar, als Wirtschaftsredakteur weiß ich prinzipiell seit Jahrzehnten, dass es Geld wie Dreck gibt. Und kenne teils auch Menschen (persönlich), die über solche Summen verfügen. Aber üblicherweise prägt das nicht meine Gedanken. Eher die vielen Fälle, in denen ich persönliche Not kenne, oder gerne das Zehnfache spenden würde, weil das Geld gut angelegt wäre, etwa in Entwicklungsprojekten in Indien oder Afrika, im Umweltschutz oder kirchlichen Projekten wie Erhalt von Kirchen, Klöstern oder aktuell dem Schorndorfer Kinderhaus St. Markus.
Wenn ich heute höre, dass bereits eine Milliarde Euro für Notre-Dame als Spenden zugesagt sind, dann mischt sich in meine Freude auch Irritation bis hin zu Wut: Warum haben manche so verdammt viel Geld? Und warum haben sie dieses nicht schon vor vier Wochen für die Flutopfer in Mosambik herausgerückt? Oder vor zwei, drei Jahren für syrische Bürgerkriegsopfer? Oder, oder, oder? Ich möchte Spendenbereitschaft und Großzügigkeit nicht abwerten. Ich möchte aber auch betonen, dass unsere Steuerpolitik weltweit reformiert gehört, damit zum Beispiel Einkommen ab der zweiten Million zu mindestens 90 Prozent besteuert werden.
1948 war das in Deutschland so. Googeln Sie mal Hermann Josef Abs oder das Londoner Schuldenabkommen. Die deutschen Unternehmer fuhren gut mit dieser Steuerpolitik. Denn diese Einnahmen investierte der Staat in Bildung, damit den Unternehmern Fachkräfte zur Verfügung standen, oder Infrastruktur, damit die Mobilität gewährleistet war, um Waren zu beziehen und Güter zu transportieren. Das nennt man Volkswirtschaft und sollte nicht als „Umverteilung“ diskreditiert werden. Und wenn die Firmen „schwächer“ wären, könnten sie die Regierungen nicht so erfolgreich manipulieren. Denn alle Macht sollte vom Volk ausgehen. Also von uns. Vielleicht lehren uns das die Schülerdemos, die freitags stattfinden.
Ich bete für ein solches Umdenken auch, nicht zuletzt, weil meine „Macht“ sehr begrenzt ist. Kirchen sind auch spirituelle Orte der Erneuerung und der Umkehr. Vielleicht doch kein Zufall, dass Notre-Dame in der Karwoche brannte, der Leidenswoche Jesu, in der der liebenste Mensch am Kreuz sadistisch zu Tode gefoltert wurde. Er hat gestört! Die gute Nachricht für mich als Glaubender: An Ostern ist er auferstanden von den Toten. Er hat den Tod besiegt. Und damit das Böse, die Gier, die Manipulation. Dass Typen wie Donald Trump, der zur Gattung der dicken, ungebildeten, weißen Christen gehört, angesichts dieser Fakten nicht in Deckung gehen, grenzt für mich ebenso an ein Wunder wie die AfD-Polemiker, die sich auf die abendländische, also christliche, Kultur berufen und diese mit Worten treten und an unserer Communio zündeln, um sie zu zerstören. Gesegnete Kar- und Ostertage euch allen da draußen.