Eine inspirierende Lektüre der Achtsamkeit begleitet seit einer Woche meinen Alltag: „Wut ist ein Geschenk“ von Mahatma Gandhis Enkel Arun Gandhi, der in Südafrika aufwuchs, dort brachial die Apartheid kennenlernte und nur in den Ferien mit seinen Eltern als Kind seinen berühmten Opa in Indien besuchen konnte.
Schonungslos beschreibt der 84-Jährige, der 30 Jahre als Journalist für die „Times of India“ und teils die „Washington Post“ arbeitete, wie er als Kind und in der Jugend so gar nicht in das Bild des Friedfertigen und Ausgeglichenen passte. Oder wie er sich etwas darauf einbildete, der Enkel Gandhis zu sein, den er im ganzen Buch nur liebevoll Bapuji nennt.
Kapitel für Kapitel lehrt er durch seine Erzählungen, wie etwa der Opa liebevoll und pädagogisch wertvoll auf seine Lügen, seine Verschwendung oder seinen Hochmut reagierte. Damit werden sie zu Lektionen, die zur sittlichen Reifung inspirieren und zugleich die geniale Geisteswelt und Haltung Gandhis sichtbar macht.
So lobt Gandhi die Wut des Enkels, die eine wichtige Ressource für Veränderung sei. Denn Wut besteht aus Energie, die ihre „richtige Richtung“ eben noch nicht gefunden hat, die aber niemals unterdrückt oder wegtherapiert werden dürfe – sie muss „nur“ an ihren richtigen Platz kommen. Denn auch Gandhi machten Krieg, Unrecht oder Hunger wütend.
Besonders beeindruckt mich die Passage auf S. 130 ff, in der Arun im Auto seinen Vater abholt und über seine Verspätung lügt. Der Vater kennt den wahren Grund. Statt aber seinen Sohn zu rügen, bittet er ihn anzuhalten, damit er aussteigen könne. Denn Aruns Lüge wertet er als sein Versagen, dem Sohn nicht genügend Vertrauen vermittelt zu haben, ihm stets die Wahrheit zu sagen.
Er wolle nun die 40 Kilometer nach Hause zu Fuß gehen und über sein Versagen nachdenken. Aruns Fazit: „Hätte mein Vater mir einfach eine Strafe aufgebrummt, hätte ich mich wahrscheinlich gedemütigt gefühlt, aber nicht schuldig. Die Demütigung hätte Ungehorsam und Rachegedanken geweckt – den Wunsch, die Verletzung weiterzugeben.“
Sein Vater sei aber so gewaltlos mit der Situation umgegangen, wie er es bei seinem Vater gelernt habe. Und Arun beschreibt, wie er voll Scham mit sechs kmh stundenlang in der Nacht hinter seinem Vater hergezuckelt sei, bis sie weit nach Mitternacht zu Hause angekommen seien. Sein Schmerz, den Vater vor sich gehen zu sehen, sei unbeschreiblich gewesen. Ein tolles Buch, dem ich noch viele Leser und Nachahmer wünsche.