
„Seelenzauber“ von Steve Ayan, 2024 bei dtv erschienen, beschreibt die Psychotherapie-Geschichte des 20. Jahrhunderts seit ihren Anfängen mit Sigmund Freud in Wien. Der Psychologe und Wissenschaftsjournalist geht in dem Fachbuch, das einen gelungenen Mix aus Kompendium und Roman darstellt, auf sicher 30 Akteure und einige Akteurinnen ein, die dieses Jahrhundert in dieser Disziplin maßgeblich prägten.
Dem 54-jährigen Heidelberger gelingt es auf 360 Seiten und in sechs Kapiteln wie „Das Unbewusste“, „Der Sex“ oder „Die Angst“ die verschiedenen Ansätze zu beleuchten, zeitlich einzuordnen und aufzuzeigen, wie sie auseinander hervorgingen und miteinander verwoben waren. Dass etwa Jacob Moreno (1889-1974), der als Student Impro-Theater machte und Vorlesungen bei Freud hörte, später das Psychodrama begründete.
Fein arbeitet der Autor heraus, wie es bei den meisten Protagonisten auch um Macht, Einfluss und Eitelkeiten ging; wie die Psychotherapie allmählich von gelangweilten höheren Töchtern in die Gesellschaft migrierte und 1926 der erste Film das Thema psychischer Deformation aufgriff. Deutlich wird auch das Ringen um wissenschaftliche Seriosität, Qualitätsstandards, Methodik, Transparenz – und Macht.
So beschreibt Ayan spannend die Entwicklung vom Medizinstudenten Freud, der um 1878 beim Sezieren von Gehirnen sucht, wo etwa die Angst „sitzt“, oder in Körpern „die Seele“, und so die Psychologie „erfindet“ mit der „Libido“ als Urkraft. Damit war lange klar, dass wer mitsprechen möchte, Arzt sein muss. Doch später kamen auch Juristen, Kriminologen, Pädagogen, Philosophen oder Biologen dazu, die Wesentliches beitrugen, Strömungen beeinflussten oder gar neue Denkschulen etablierten wie Rudolf Steiner mit seinen esoterischen Anthroposophen.

Zugleich leistet der Autor, vor allem die Hauptdarsteller wie Freud, Alfred Adler (Urkraft ist die Aggression, die sich aus der Minderwertigkeit speist), Carl Gustav Jung (vier Grundgefühle), Fritz Perls (Gestalttherapie) oder Viktor Frankl (Logotherapie) biographisch in all ihren Facetten auszuleuchten, ob sie etwa Juden waren, aus armen oder reichen Verhältnissen kamen etc.
Ayans kritischer Blick auch auf deren charakterliche Schwächen wie Geltungssucht oder sexuelle Begierde, mit der sie auch jederzeit das Machtgefälle zu ihren Patientinnen oder Studentinnen ausnutzten, schenkt dem Buch eine hohe Glaubwürdigkeit.
„Seelenzauber“ wünsche ich viele Leser und vor allem Menschen, die sich danach auf den Weg machen, ihre eigene Persönlichkeit auszuleuchten – mit professioneller Hilfe oder in Selbsthilfegruppen. Denn eine Botschaft zieht sich durch das gesamte Buch: Das größte Abenteuer der Welt schlummert in Dir selbst.