Der Leipziger Arbeiterpriester Andreas Knapp appelliert in Schorndorf an die Solidarität europäischer Christen mit den verfolgten Syrisch-Orthodoxen.

Die „vergessenen Christen im Irak“ sind Andreas Knapps Herzensthema: In der Kirchengemeinde Heilig Geist hat der badische Priester, der seit 2005 in einem Plattenbau in Leipzig lebt, 50 Zuhörern tiefe Einblicke in die Kirchengeschichte und das aktuelle Vertreibungsdrama der aramäischen Christen gewährt. Der promovierte Theologe der sich 2000 der Armutsbewegung des französischen Arbeiterpriesters Charles de Foucauld anschloss, zehn Jahre am Fließband arbeitete und heute Gefängnisseelsorger ist, lernte irakische Migranten als seine Nachbarn kennen und interessierte sich für sie.

So erfuhr der heute 66-Jährige, dass noch vor 30 Jahren 1,4 Millionen Christen im Irak lebten, die in verschiedenen Konfessionen in 500 Kirchen beteten. Mit dem Angriff der USA und Englands 2003 auf den Irak, um Diktator Saddam Hussein zu stürzen, begann deren Verfolgung. Denn muslimische Fundamentalisten deuteten den Angriff dieser christlichen Nationen als Schlag gegen den Islam. Unter diesem Vorwand schikanierten sie die Syrisch-Orthodoxen, die hier seit 2000 Jahren leben, im eigenen Land. „Sie forderten Schutzgeld, zerstörten Kirchen, vergewaltigten Christinnen und töteten Christen,“ so Knapp, zumal diese meist akademisch gebildet oder vermögende Handwerker sind.

Als die „Gotteskrieger“ des IS die Christen aufforderte, zum Islam zu konvertieren oder das Land zu verlassen, zogen 120.000 Christen zu Fuß 25 Kilometer durch die Wüste auf kurdisches Gebiet. „Auch ihre Autos mussten die Menschen auf Drängen der Kurden zurücklassen, weil die Peschmerga Sprengstoffattentate von Dschihadisten befürchteten,“ erläuterte der Referent in seinem mit Fotos untermauerten Vortrag.

Diese bedrückenden Aufnahmen zeigten vor allem zerstörte Kirchen, Zelte in Flüchtlingscamps, erschöpfte Flüchtlinge und Kinder an Zäunen. 2015 kamen allein 10.000 Flüchtende nach Leipzig, zumal die Stadt einen hohen Leerstand in den Plattenbauten hatte. Eindrücklich schilderte Knapp, wie etwa Yusuf für 17.000 US-Dollar die viertägige Flucht in einem manipulierten Container gelang, in dem er 96 Stunden auf dem Landweg über mehrere Grenzen ohne Kontrolle und Orientierung war, eingepfercht im Dunkeln bei Wasser und Keksen bis er in Chemnitz ankam. Hier stellte er sich der Polizei und verbrachte ein Jahr in einer Asylunterkunft bis er anerkannt war und seine Familie legal nachholen konnte, die mittlerweile nach Ankara in der Türkei geflohen war.

Im November 2015 reiste Knapp erstmals in das nordirakische Kurdengebiet, um Yusufs Angehörige zu besuchen. Seither leistet er gleichermaßen dort wie in Leipzig seinen Mitchristen Hilfe so gut er kann. Auch hat er sich mit deren Geschichte befasst. Demnach haben drei Apostel das Christentum entlang der damaligen Handelsstraßen in die Welt getragen: Paulus in den griechisch-römischen Westen, Markus nach Nordafrika (zu den Kopten) und Thomas in den Osten bis nach Indien.

Missioniert hätten sie übrigens nie mit Gewalt, sondern stets durch Dialog und Bildung bei hoher Wertschätzung für die jeweilige Kultur. Dabei hätten sie stets bei den Juden angesetzt, von denen viele zum Christentum konvertiert hätten. Syrer, die griechisch konnten, bildeten die Bildungselite, die wissenschaftliche Schriften in das Arabische und Aramäische übersetzte. In der arabischen Hochkultur lebten Juden, Christen und Muslime in friedlicher Koexistenz, so Knapp. Nur hätten die Christen Steuern zahlen müssen. Verarmten sie, traten sie zum Islam über, um sich diese Abgabe zu sparen. Noch im 19. Jahrhundert seien in der arabischen Welt ein Drittel Christen gewesen. Erst um 1880 hätten sich militante Übergriffe machtgieriger Sultane gehäuft, die 1915 in einem Genozid gipfelten.

1948 seien mit der Gründung des Staates Israel auch 700.000 Juden aus arabischen Ländern vertrieben wurden und die religiösen Unterschiede hätten sich verhärtet. Heute lebten noch zwei Prozent Christen verschiedener Konfessionen – Katholiken, Protestaten, Orthodoxe, Kopten, Aramäer etc. – in dieser Region. In Aleppo etwa würden zu Ostern noch heute alle dieser Kirchen gemeinsam besucht, um die Verbundenheit untereinander auszudrücken. Knapp: „Ökumene ist dort ein Fremdwort, weil die Christen nie – im Gegensatz zu Deutschland oder Irland – gegeneinander gekämpft haben.“

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