Frankfurte Allgemeine Sonntagszeitung vom 10.09. im Ressort Wissenschaft.

Ich weiß ja nicht, wie meine Mitmenschen die Fakten ausblenden: Mir begegnen ständig „schlechte Nachrichten“ bzgl. des Klimawandels. Nicht nur brannte diesen Sommer gefühlt die halbe Welt wegen der brutalen Trockenheit, Tage später gingen über Griechenland und Libyen tagelang sintflutartige Niederschläge nieder. Auch hier der Grund: Die extreme Erhitzung der Meere, was die Luftfeuchtigkeit erhöht. Hinzu kommt, auch aus klimatischen Gründen, dass die Thermik fehlt, damit diese Hochs und Tiefs weiterziehen und nicht immer dieselben Terrains betreffen.

Jedenfalls habe ich jüngst in der FAS gelesen, welche Auswirkungen es hat, wenn es nach und nach in den Alpen und anderen Gebirgen der Welt keine Gletscher mehr haben wird, die im Sommer dem Tal die Nässe liefern, die sie im Winter gespeichert haben und die die Regionen im Sommer dringend brauchen. Zitiert wird u.a. die Biologin Brigitta Erschbamer, die seit 25 Jahren den abgelegenen Rotmoosferner, einen Gletscher in den Ötztaler Alpen in Südtirol, beobachtet.

Die Geröllareale, die durch den Rückzug der Gletscher jährlich größer werden, sind das Spezialgebiet der Geobotanikerin. Diese waren über Jahrtausende von Eis bedeckt und werden nun freigelegt. In Südtirol muss die emeritierte Professorin mittlerweile auf 2400 Meter aufsteigen, um an der Gletscherkante zu erforschen, wie Flechten, Moose und Blütenpflanzen die Geröllflächen besiedeln. Auch die Baumgrenze steigt mit dem milden Klima immer weiter nach oben.

Allerdings haben Erschbamer und ihr Team, die global forschen, beobachtet, dass die Vegetation nicht immer üppiger wird. Im Gegenteil. Die Trockenheit in der prallen Sonne verhindert deren Gedeihen. Und was zart überlebt, tötet der erste Frost des aufziehenden Winters. Wer die Gletscher bislang als Randphänomen betrachtete, bekommt nun den Zusammenhang zu spüren: Die gigantischen Süßwasserspeicher gaben über Jahrhunderte stets einen Teil ihrer Vorräte ab, damit Bäche und Flüsse nicht versiegten und Feuchtgebiete mit ihren mannigfaltigen Tierwelten erhalten blieben.

Miriam Jackson, Glaziologin am International Centre for Integrated Mountain Development in Nepals Hauptstadt Kathmandu, sagt dazu: „Das Gletscherwasser hat über Jahrzehnte Hunderten Millionen Menschen,  besonders in Asien, das Überleben gesichert, weil es im Sommer ihre Felder bewässert hat.“ Der französische Geograph Jean-Baptiste Bosson hat errechnet, dass bis 2100 Gebirgsflächen von der Größe Deutschlands oder gar Finnlands dauerhaft eisfrei sein dürften – selbst wenn die Pariser Klimaziele bis 2050 noch erreicht würden, was ohnehin kaum einer mehr glaubt. Noch sind 650.000 Quadratkilometer Gebirge weltweit von Eis bedeckt. Hinzu kommen die Massen an Arktis und Antarktis, die gleichfalls immer schneller abnehmen.

Glaziologin Jackson: „Für einige Jahrzehnte gibt es sehr viel Schmelzwasser und dann beginnt die große Wasserknappheit.“ Und Bosson merkt an: Die eisfreien Flächen reflektieren die Sonnenstrahlen nicht mehr so gut – die Erderwärmung nimmt weiter zu. Dagegen argumentiert der kanadische Biologe Nicolas Lecomte, die Natur nutze die eisfreien Flächen für mehr Vegetation, die CO2 bindet. Allerdings steht er mit dieser Position weitgehend allein im internationalen Diskurs. Immerhin vermeldet Russland bereits, der Rückzug des Eises erleichtere und ermögliche die Gewinnung von Bodenschätzen und mehr Land werde bewohnbar. Auch in Chile wird bereits direkt unterhalb eines Gletschers Kupfer gefördert. Die Ausbeutung geht also weiter.

Mehr noch: Konflikte wie zwischen Russland und Indien im Himalaya könnten sich verschärfen, wenn die Gewinnung von Bodenschätzen möglich wird. Auch seien viele Grenzlinien topographisch an das „ewige Eis“ gebunden. Hungersnöte und Aufstände verschärfen das Konfliktpotential, wenn in den Tälern das Wasser ausgeht. Einig sind sich deshalb die Forscher, dass eisfrei werdende Flächen als Naturschutzgebiete ausgewiesen werden müssten, die sich selbst überlassen bleiben. Am Montblanc hat Frankreich das 2020 bereits gemacht. Nach Erschbamers Erfahrung bleiben die „blühenden Landschaften“ aber weitgehend aus. Der Mensch aber transformiert einst lebenswichtige Wasserspeicher in spärlich bewachsene Geröllfelder.

Und dass der Meeresspiegel kontinuierlich steigt, was von den Niederlanden bis Bangladesh katastrophale Folgen für Millionen Menschen hat, sei hier nur am Rand erwähnt. Schon jetzt investiert Deutschland Abermillionen Euro in Deichbefestigungen – mit Diesel-betriebenen Lkw, Baggern und Radladern und CO2-emittierendem Zement und Beton.

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