Mit „Im Grunde gut – eine neue Geschichte der Menschheit“ hat der Niederländer Rutger Bregman 2020 einen (Spiegel-)Bestseller geschrieben. Der 35-jährige Historiker verfolgt die These, dass der Mensch im Grunde gut sei. Dabei greift er tief in den Erkenntniskasten von Biologen, Soziologen, Historikern und anderen, was das Buch aus dem Rowolth-Verlag leicht und spannend lesbar macht: So verstärke zwar das Kuschelhormon Oxytocin die Zugehörigkeit, aber leider auch die Xenophobie, weil vom Fremden in der Neuzeit Gefahr drohe. Zu dieser Wahrnehmung trügen vor allem die Medien seit rund 150 Jahren bei, denn in der Vorzeit hätten andere Jägergruppen eher für Abwechslung und Unterhaltung gesorgt.
Versuche mit Babys (6-8 Monate) belegten, dass diese nach der „sozialen“ Puppe greifen und nicht nach dem Frechdachs, wenn man ihnen zuvor ein Stück mit beiden Figuren aufgeführt habe. Ist das Kleinkind dagegen 18 Monate alt und hat eine Vorliebe für eine Müslisorte, bevorzugt es die Puppe, die vermeintlich dasselbe Müsli isst. Das belege, dass Zugehörigkeit wichtiger sei als Werte. Die deutsche Wehrmacht war demnach im Zweiten Weltkrieg deshalb die vermutlich erfolgreichste Armee der Weltgeschichte, weil sie die Kameradschaft am höchsten hielt und pflegte. So wurden Divisionen hinter die Front verlegt, damit sich neue Rekruten einleben und Freundschaften knüpfen konnten, bevor es in den Kampf ging. Verletzte flohen Bregmans Quellen zufolge aus dem Lazarett zur Front oder verzichteten auf Heimaturlaub, um ihre Kameraden nicht im Stich zu lassen bzw. in ihrer Einheit nicht durch neue Soldaten ersetzt zu werden.
Tausende Befragungen von Kriegsgefangenen hätten zudem ergeben, dass die Nazi-Ideologie und -Doktrin kaum eine Rolle gespielt habe, weil die Kameradschaft alles überlagerte. Untersuchungen mehrerer Kriege haben zudem ergaben, dass nur 18 bis 24 Prozent aller Soldaten auf den Gegner schossen. Alle anderen taten nur so, luden z.B. vermeintlich das Gewehr nach, transportierten Munition, bargen Verletzte oder suchten Deckung. So waren den Quellen zufolge Vorderlader im US-Konföderierten-Krieg bis zu 13 Mal geladen. Und dieses soziale Verhalten zeigten die Soldaten im höchsten Stress inmitten von Kampfhandlungen, wie der Autor betont.
Untersuchungen von Katastrophen oder angeblich unterlassener Hilfeleistung hatten ähnliches ergeben: Menschen hatten sich gegenseitig den Vortritt auf Fluchttreppen gelassen (11.09.2001) oder in Rettungsboote (Titanic). Und bei Mordattacken nachts auf der Straße in New York und anderswo, bei denen trotz Hilfeschreien niemand die Polizei gerufen hatte, stellte sich später heraus, dass viele gedacht hatten, das hätten längst 20 andere getan. Oder sie wurden auf der Wache beruhigt, man könne sich verhört haben oder es handele sich um Betrunkene.
Der Niederländer zieht auch Studien für seine These heran, dass der Mensch von Grund auf gut sei: So wurde in einem Forschungsprojekt behauptet, Schüler mit braunen Augen seien intelligenter als Kinder mit blauen und schon nahmen sich Braunäugige Rechte heraus und bei Blauäugigen sank der Selbstwert und stieg die Fehlerquote in Klassenarbeiten, weil ihnen das Selbstvertrauen fehlte. Betroffene Eltern in den USA empörten sich, man hätte diese Studie unter schwarzen Schülern machen sollen, da diese mit Rassismus vertraut seien.
In einer anderen US-Studie aus den 1960er Jahren zog man Grundschülern rote oder blaue T-Shirts an, um sie so zu kennzeichnen. Die Kinder reagierten erst, wenn Erwachsene diesen Unterschied benannten, z.B. „Guten Morgen, rote Kinder und blaue Kinder.“ Hatten Kinder den Unterschied verinnerlicht, entwickelten sie eigene Ausgrenzungs- bzw. Zugehörigkeitsstrategien, z.B. im Sport. Aber erst dann. In Stromstoßexperimenten oder in Rollenspielen mit Gefangenen und Wärtern, mit denen man die Kriegsverbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg nachvollziehen wollte, kam teils erst Jahrzehnte später heraus, dass diese manipuliert waren. So wurden etwa Wärter explizit angewiesen und bei Widerstand gezwungen, Gefangene zu schikanieren, weil sie es freiwillig nicht taten. Oder Testpersonen durchschauten das Experiment und „spielten“ mit.
Dazu passt, dass der ausgestorbene Neanderthaler war nicht dümmer als der Homo sapiens war. Im Gegenteil: Er hatte mehr Gehirnmasse und war robuster gebaut. Was ihn 50.000 v.Chr. aber verlieren ließ gegen den Homo sapiens, war seine Unfähigkeit zur Kooperation. Denn bringt er bspw. nur einem Neanderthaler Angeln bei, weil er Wissen für sich behält, teilt es der Homo sapiens 20 Mal. Bei einer Sterbequote von 80 Prozent in dieser gefährlichen Zeit dupliziert der Homo sapiens sein Wissen also schneller. Tests mit Babys, die mit Primaten verglichen wurden, also Orange Utans und Schimpansen, zeigten überall dieselben Ergebnisse, z.B. Beobachten und Nachmachen. Einzig beim Social Learning waren die Menschen extrem überlegen, weswegen sie auch die differenzierte Sprache entwickelt haben. Dazu passt, was ich kürzlich in der Zeitung las: Katzen miauen und schnurren nur im Kontext mit Menschen.