Einzug in Jerusalem sogar mit einem leibhaftigen. Esel. FOTOS: FROMM

Theologisch sauber und dramatisch inszeniert, sind mir die vierstündigen Passionsspiele vorigen Samstag im „Schönblick“ in Schwäbisch Gmünd im wahrsten Sinne des Wortes zu Herzen und unter die Haut gegangen. Gut 100 Akteure auf und hinter der Bühne setzten in 30 Szenen die Leidensgeschichte Jesu glaubwürdig und mit sehr viel Spielfreude um. Dabei hielt Regisseur Matthias Ihden stets seine Linie und das Spiel kippte zu keinem Moment in den Kitsch.

Gleich zu Beginn überzeugte mich der Facettenreichtum des Hohe Priesters Kaiphas und seines Kollegiums aus Schriftgelehrten und Pharisäern, der nicht als per se böse und verstockt dargestellt wird, sondern als Verantwortlicher, der einerseits den Zorn der Römer vom Volk Israel fernhalten muss, andererseits aber auch gottesfürchtig sein und theologisch keine Fehler machen will. So muss Kaiphas scheitern mit seinem Lavieren zwischen Hetzer Zadok einerseits, der sich und die Autorität seines Gelehrtenstandes von Jesus verhöhnt fühlt, und Josef von Arimathäa andererseits, der in den Wortes Jesu viel bedenkenswerte Liebe und Klugheit hört.

Und neben diesem Strang politischen Handels, in den sich Grobian Pontius von Pilatus als Statthalter Roms einfügt, zieht sich ein zweiter, spiritueller durch das vierstündige Stück, in dem nur die Hauptrollen mit Profis besetzt sind: Das qualitativ Neue, das der jüdische Zimmermannssohn Jesus seinen Jüngern zumutet. Statt mehr als 600 (Reinheits-)Gebote zu halten, sollten sie ihre Feinde lieben, ihrem Herzen folgen, auf Privilegien verzichten und ihren Besitz teilen. Immer wieder wirkt der charismatische Jesus Wunder, die seine Anhänger davon überzeugen, dass er der Sohn Gottes sei, der im nächsten Schritt dann wohl mit all seiner Macht auch die Römer aus dem Land treibt.

Eine klassische Szene: Jesus beim Abendmahl mit seinen Jüngern.

Dieser Täuschung sitzt auch Judas auf, den Ihden nicht als Geld-gierigen Verräter karikiert, sondern als leidenschaftlichen Jünger, der sich in der Rolle sieht, Jesus „ein bisschen nachzuhelfen“, damit es zum Konflikt kommt, in dem Jesus seine Allmacht zeigen würde. In all diesen Verstrickungen wird Jesu Einsamkeit deutlich, mit der er redet, Zeichen wirkt, erklärt und in Bildern spricht – und doch kaum verstanden wird. Andererseits versteht er immer besser, wohin ihn sein Weg führen wird und was sein Vater im Himmel ihm abverlangen wird: Gefangennahme, Folter, Tod am Kreuz.

So habe ich Tränen in den Augen, als er auf der stets kargen Bühne, die kaum verändert wird, im Umfeld seiner schlafenden Jünger im Garten Gethsemane sich auf die Gefangennahme vorbereitet: Absolute Einsamkeit. Totale Verzweiflung. Jesus ahnt, dass es keine Alternative gibt („denn Dein Wille geschehe“) und doch wären weglaufen, leugnen und viele andere Varianten nun mögliche Alternativen. Für mich ist dies die Schlüsselszene meines Menschseins: Nachfolge Jesu und „Farbe bekennen“ – mit allen Konsequenzen bis zum Tod am Kreuz! Oder wegschauen, mich in der Masse verstecken; abwarten, was passiert; einfach „nett sein“; oder erstmal so lau weitermachen, „morgen reicht es ja schließlich auch noch.“

Und genau für diese Entschlossenheit; den Willen, „Salz der Erde“ sein zu wollen; für die Metanoia, die Umkehr, braucht es Passionsspiele wie diese im „Schönblick“ in Gmünd. Der Abend war ein kräftiger Schluck aus der Mutmacher-Pulle, keine faulen Kompromisse eingehen zu wollen, sondern „das Wort Gottes zu hören und ihm zu folgen.“ Ich danke den „Schönblickern“, dass sie den Mut haben, solche Schauspiele zu inszenieren und sie wie Lampen auf einen Sockel zu stellen, damit sie weithin gesehen werden.

Es ist populär geworden, auf alles Christliche „einzuschlagen“, es für tausend Mißstände verantwortlich zu machen und seinen Verlust als emanzipatorischen Fortschritt zu begrüßen. Ich persönlich bin vom Gegenteil überzeugt: Wo einer Gesellschaft der Kompass fehlt, fehlt ihr die Orientierung. Vielen Menschen, vor allem Klerikern, hat innerhalb der Kirche der Kompass gefehlt. Wie Kaiphas, Zadok und vielen anderen im Judentum auch. Deshalb braucht es mehr Martin Luthers, Dietrich Bonhoeffers oder Mahatma Gandhis, die uns den Spiegel vorhalten und mit uns den Kompass gebrauchen und lesen. Die Aufführung am Samstag und die vier Aufführungen davor mit ihren je 1000 Besuchern waren solche Lehr- und Bibelstunden. Danke.

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