Gewänder und Pomp im Vatikan sind nicht mehr zeitgemäß und viele Riten erklärungsbedürftig.

Zu der taz-Headline „Ratze in Frieden“ zum Tod des emeritierten Papstes Benedikt konnte ich noch ganz gut schweigen, weil das linke Berliner Genossenschaftsblättchen ja für diesen Stil bekannt ist und die Überschrift nicht nur von Despektierlichkeit zeugt, sondern auch von intelligenter Kreativität. Andererseits habe ich schon in den ersten drei Wochen meines Volontariats 1990 gelernt, dass man Namen weder verunstaltet, noch (witzige) Wortspiele damit macht – weil für seinen Namen niemand etwa kann. Soviel zum Aspekt Ethik und Moral, wo doch taz und andere sicher gerne „der Kirche“ Doppelmoral vorhalten.

Was mich aber nun zum Schreiben veranlasst, sind der Hass, die Verblendung und die Ignoranz, die anlässlich des Todes von Prof. Dr. Theol. Josef Ratzinger, der als Kardinal 2005 zum Papst gewählt wurde, einmal mehr reflexhaft aufblitzen. Ich könnte diese „Rülpser“, die tausendfach auf Facebook und andernorts aufstoßen, im Angesicht der Ewigkeit Gottes auf sich beruhen lassen. Aber sie stören massiv mein Menschenbild, da Gott oder die Evolution uns dank eines Gehirns zur Differenzierung befähigt haben.

Ratzinger mag versagt haben (oder überfordert gewesen sein) angesichts der Dimensionen sexuellen Mißbrauchs in der Kirche. Aber alle Priester als pädophil, krank oder kriminell darzustellen, ist ebenfalls falsch und zeugt von einem Fanatismus, der sicher interessant wäre, therapeutisch im Stuhlkreis beleuchtet zu werden. Denn wo so viel negative Energie sitzt und immer wieder unkontrolliert ausbricht, liegen in der Regel unbewältigte Themen aus der Vergangenheit, oft der Kindheit, zugrunde. Das können Gewalterfahrungen „im Namen Gottes“ (vermeintliche „Züchtigung“) sein, moralische Repressionen insbesondere im Bereich Sexualität (z.B. „vorehelicher Geschlechtsverkehr“, Selbstbefriedigung etc.) u.v.m.

Spannend fände ich, mich mit Alleswissern, die bspw. den Zölibat (die Ehelosigkeit) als Ursache „allen Übels“ klerikaler Verfehlungen ausgemacht haben, mal über die Kraft ihrer Sexualität zu unterhalten. Wo deren Triebhaftigkeit in und außerhalb einer Partnerschaft produktiv ist – und wo destruktiv. Nicht nur als Gestalttherapeut und Männer-Coach könnte ich dazu sehr viel sagen. Auch als ehemaliger Priesteramtskandidat: So war für mich als 16- bis 23-Jähriger der Zölibat eine vermeintliche Lösung, meine sehr aktiv gespürte Sexualität, die mir auch Angst bereitete, zu vermeiden.

Die monogame Ehe schien mir zudem wenig attraktiv, weil sie mich – auf Dauer – auf eine (Sex-)Partnerin limitiert hätte, wo ich doch viele Frauen begehrte. So quatschte ich mir die Ehelosigkeit im Fall meiner Priesterweihe schön, zumal mir auch Treue, Loyalität und Verlässlichkeit wichtige Werte waren und sind. „Wenn ich schon auf 999 Frauen verzichten muss, kommt es auf die 1000. auch nicht mehr an,“ lautete einer meiner (theoretischen) Gedanken, zumal ich mir als Ausweg immer noch den Weg zu einer Prostituierten erlaubt hätte.

Als Theologe, der seine Diplomarbeit über „autonome Moral“ (Prof. Alfons Auer) bei Prof. Dietmar Mieth schrieb, war ich schließlich geschult und sensibilisiert in der „Abwägung“, der „Unterscheidung der Geister“ und dem Wissen, dass Leben ohnehin bedeute, schuldig zu werden. Denn im Gegenzug würde ich ja „der Menschheit dienen“, Gutes in die Welt bringen u.v.m. Wer in diesem Milieu nicht groß geworden ist, hat keine Vorstellung, wie hier gedacht und gefühlt wird. Überlagert wird das Ganze oft noch von den Gestaltungsmöglichkeiten, die einem ein priesterliches Amt bietet, Stichwort Macht, und den Erwartungshaltungen bis hin zum psychischen Druck/Zwang, die nicht selten Eltern und Heimatkirchengemeinden in den jungen Männern, die oft erst 20, 22 oder 24 sind, auslöst.

Dann studiert man weiter im Status des Priesteramtskandidaten, weil man „nur“ Zweifel an der Berufswahl hat, die für einen Ausstieg noch nicht genügen. Und zumindest ich fragte mich angesichts meiner Zweifel lange auch, ob die nur darin lägen, dass mein Vertrauen in Gott und mein Glaube noch nicht groß genug seien. Und die spirituellen Begleiter, die man hat, mit denen kann man zwar Gespräche führen, aber da diese selbst Priester sind, sind sie gleichermaßen Vorbild und Ansporn, wie sie auch den eigenen Nachwuchs nicht verhindern wollen. Vermutlich ist das ein bißchen wie Vaterschaft. Und so werden Männer mit 28 oder 32 Jahren Priester.

Und innerhalb der klerikalen Strukturen geht es weiter: Man wird hofiert, ist Teil der Gesellschaft, hat wegen Säuglingen und Kleinkindern keine schlaflosen Nächte und kann – nicht zuletzt dank des Priestermangels – exzellent Karriere machen. Das befriedigt die Eitelkeit, ermöglicht aber auch die Chancen, wirksam zu sein und „die Kirche“ bzw. die Vorwegnahme des Reiches Gottes auf Erden als Ort des Heils sichtbarer zu machen. Für mich ist Benedikt ein exponiertes Beispiel, wie aus einem frommen Bauernsohn und klugen Kopf ein „Diener Gottes“ wurde, der schließlich sogar bereit war, das „Joch“ des Papstamtes zu tragen.

Da Hass leider blind macht bzw. Blindheit die Voraussetzung für Hass ist, können Kirchenhasser all das nicht sehen und „müssen“ vermutlich auch meine Zeilen wieder in den Dreck ziehen. Deshalb bitte ich in diesen Tagen Gott in meinen Gebeten vor allem für diejenigen, die Menschen veranlassen, Anstoß an der Kirche zu nehmen. Und dass die Hasser Erfahrungen (mit Christen) machen mögen, die ihren Hass ins Wanken bringen könnten.

Zugleich muss auch ich angesichts der Bilder vom opulenten Begräbnis sagen, dass ich all diese Gewänder und den Pomp nicht mehr für zeitgemäß halte, die Botschaft von Jesus, dem in der Krippe geborenen Kind einfacher Leute, noch glaubhaft transportieren zu können. Ich würde den Vatikan räumen, die Räume Flüchtlingen zur Verfügung stellen und mit meiner Verwaltung in die Provinz ziehen, wo Immobilien günstig sind. Aber das ist meine laienhafte Meinung. Und deshalb schweige ich besser zu Themen, von denen ich keine Ahnung habe. Oder stelle allenfalls Fragen, um besser zu verstehen. Amen.

2 Comments

  1. Rainer Gebauer

    Man kann das Kind auch mit dem Bade ausschütten. Katholizismus war immer Schrift und Tradition im Gegensatz zum Protestantismus für den nur die Schrift zählt. Mich überrascht, dass ein ehemaliger Priesteramtskandidat mit bemerkenswerter katholischer Sozialisation unsere katholische Heimat zu einer protestantischen Kirche 2.0 machen will. Priester ohne Gewand in der Liturgie undenkbar (ich habe als Jurist bei Gericht auch den Talar getragen als Ausdruck, dass ich in diesen Momenten ein Amt ausfülle und nicht Privatperson bin!). Ich liebe die Liturgie und es war ein Verdienst von Benedikt die Liturgie hoch zu halten, die Begegnung mit Gott und seinem Sohn mit Schrift und Abendmahl zu feiern, zu zelebrieren. Ich bin als kleiner Bub in unmittelbarer Nachbarschaft der Stadtpfarrkirche aufgewachsen und ich war fasziniert von all den Riten, den Weihrauch aufgesogen. Ich bin so dankbar, fast vier Jahre in einem Kindergarten unter Leitung einer Nonne – Schwester Sildina ! – aufgewachsen zu sein. Ministrant, Georgspfadfinder, Lektor…das sind doch entscheidende Prägungen. Katholische Kirche bei allen Irrungen und unverzeihlichen Missständen wird mir immer Heimat sein. Und ja, der Vatikan gehört „ausgemistet“ (wobei der jetzige Papst für diese Herausforderung eine bittere Enttäuschung ist). Den Petersdom und die einmalige kulturelle Anlage zu verweltlichen ist nach meinem Verständnis vom so wichtigen Zentrum des Glaubens einer Weltkirche undenkbar. Übertriebenen Pomp runterfahren, ok, Speisungen und Duschen für Obdachlose völlig in Ordnung, Nächstenliebe leben. Aber um Gottes Willen unsere einmalige katholische Kirche zur Unkenntlichkeit zu entkernen, bloß nicht. Auch das ist ein Vermächtnis von Benedikt, einem außergewöhnlichen (zugestanden in seinem Amt „politisch“ überfordert) Papst, Kirchenführer, grandiosen Theologen, liebenswürdigen Menschen.

    1. Lieber Rainer,
      ich persönlich schätze eine bildhafte Liturgie, zumal ich 40 Jahre in einem russisch-orthodoxen Chor gesungen habe. Aber gerne verzichte ich auf Weihrauch, Ikonen und stundenlange Gesänge, wenn Metropolit Kyrill dem Faschisten Putin huldigt: Jesus braucht keinen Dresscode, weil wir ihn mit dem Herzen und an seinen Werken erkennen. In der Geschäftswelt laufen auch fast nur noch Kriminelle im Nadelstreifenanzug herum, weil sie uns täuschen wollen.
      Die Liturgie ist mir vertraut wie das Glas Wein am Abend: Eine vertraute, bequeme, liebgewonnene Gewohnheit – aber nicht existenziell.

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