Die heiligen drei Könige bringen dem Jesuskind Gold, Weihrauch und Myrrhe. Weil wir aber eher Wein als Präsent mitbringen, möchte ich heute über Martin Kößler schreiben. Der Weinhändler aus Nürnberg, der seit 40 Jahren im Geschäft ist, will nämlich der Branche ihre „Unehrlichkeit austreiben“. Dankenswerterweise bin ich – als treuer Freund des vergorenen Rebensaftes – in der „Süddeutschen“ im Dezember auf einen Bericht über den Betreiber der K&U Weinhalle gestoßen, der rund 1000 Weine im Sortiment hat und 900.000 Flaschen pro Jahr online verkauft. Im Interview nennen ihn die Redakteure einen „Öko-Fundamentalisten“.
Seine These: Erst ab zehn Euro je Flasche könne der Winzer wirklich Qualität erzeugen, ohne die Umwelt zu belasten. Statt aber die Wahrheit zu sagen, für die sich immer mehr junge Genießer interessieren, redeten die Erzeuger elitär und es werde „gezielt gelogen.“ Denn erst ab zehn Euro könnten Mitarbeiter ordentlich bezahlt und Reben anständig bewirtschaftet werden.
Der größte Fehler im konventionellen Weinbau: Die Bodenbiologie in den Weinbergen, zu der Wurzeln, Pilze und Myriaden anderer Bodenlebewesen gehören, werden mit Herbiziden, also Unkrautvernichtungsmitteln, abgetötet. Diese zerstörte Bodenbiologie führt dazu, dass der Boden sich verdichtet. Wenn dieser nicht mehr atmet, zerstört das die Biochemie des Bodens, der die Rebe mit Nährstoffen versorgen soll, so Kößler. Dies werde wiederum mit Kunstdünger ausgeglichen.
Als Beispiel nennt der Experte die 2018er-Ernte, die durch die Trockenheit zusätzlich so sehr belastet gewesen sei, dass im konventionellen Weinbau nahezu kein Gärprozess in Gang kam. Die Agrarchemie habe der Önologie dann mit Hefenährstoffen, Reinzuchthefe und Enzymen nachgeholfen. Kößler: „Aus den kaputten Böden resultiert ein komplett anderer Typ von Wein.“ Die Reinzuchthefe mache den Wein „fruchtig“, was unsere Vorstellung von Wein massiv geprägt habe.
98 Prozent aller Weine weltweit würden heute so produziert und der Winzer wisse schon vor der Lese, wie sein Wein später schmeckt. Hier habe der Handel eine maßgebliche Rolle, über Aufklärung das Verhalten der Verbraucher zu verändern. Denn der Öko-Wein gestehe der Natur ein komplexes Gleichgewicht zu, das er nur durch Mechanik (Bodenbearbeitung), Kompost und Humus beeinflusst, nicht aber chemisch.
Guter ökologischer Weinbau berücksichtige die natürlichen Bedingungen, also die Qualität des Bodens und begrüne den Hang etwa so, dass bei Starkregen keine Erosion erfolgt und bei extremer Hitze der Boden dennoch nicht austrocknet. Das alles, so der Franke, prägt den Charakter des Weines und fördert seine Individualität, die ihn zum einzigartigen Genuss macht – statt sich von einer „Milliardenindustrie“ einhegen zu lassen.
Dass der konventionelle Weinbau legal ist, liegt auch daran, dass dessen Chemie nicht gesundheitsschädlich ist. Dass diese Zusatzstoffe nicht deklariert werden müssen, liegt an der Klassifizierung als Genussmittel. Wäre Wein ein Lebensmittel, müsste bspw. der zugesetzte Schwefel angegeben werden. Maßstab für Kößler ist die natürliche, „wilde“ Gärung, die nur funktioniert, wenn die Trauben nicht durch Spritzmittel bereits „kontaminiert“ sind.
Dagegen vergären unbehandelte Trauben teils schon am Stock, weil die Natur voll ist von natürlichen Hefen auf Pflanzen und im Boden. Die stärkste Hefe killt dann binnen vier, fünf Tagen die schwächeren und bestimmt das spätere Aroma des Weines. Die komplexe Geschmacksvielfalt entsteht gerade durch diesen Gärprozess, in dem auch unterlegene Hefen noch eine Duft- und Geschmacksnote hinterlassen, die sich im Mund rezessiv entfaltet.
Kößler sagt, wer diese Qualität des Weines will, muss zehn bis 25 Euro je Flasche Wein entrichten. Das erinnert mich stark an den Fleischkonsum und mit der Mobilität dürfte es ähnlich sein, was einem Benzinpreis von fünf Euro je Liter entspräche. Und dann bitte ohne erhöhte Pendlerpauschale. Ich setze ja schließlich meine Weinrechnung auch nicht von der Steuer ab.
Aber all diese Entwicklungen werden kommen. Das bestätigt der Weinhändler für seinen Bereich: Konventionelle Winzer hätten keine Zukunft! Beschleunigt würde diese Veränderung, wenn ein streng kontrolliertes Zertifikat käme. Denn, so Kößler: „Bei Wein wird gelogen, dass sich die Balken biegen.“ Deshalb sei auch das 2013 eingeführte EU-Bio-Siegel zwar ein Anfang, aber noch lange keine Qualitätsgarantie, zumal sowohl im Weinberg als auch im Keller jede Menge Schindluder getrieben werden kann. Bisher beziehe sich „Bio“ nur auf den Weinberg.