Mein Kindergeburtstag 1970: Ibrahim hinten sitzend. Ich bin der Junge rechts.

Bei meinen Kindergeburtstagen in der Grundschulzeit war Ibrahim immer dabei. Er war einer meiner besten Freunde, war ein sehr guter Schüler (und Fußballer), hatte einen dunkleren Teint als wir anderen Kinder und auch einen ungewöhnlichen Namen, den ich zuvor nur aus der Bibel kannte. Heute weiß ich, dass mein Mitschüler aus dem Sudan stammte, sein Vater in Deutschland Medizin studierte und er Moslem war/ist.

Nach mehr als 40 Jahren bin ich vor einigen Jahren über die Plattform stayfriends.de wieder auf Ibrahim gestoßen und wir haben mehrmals e-Mails ausgetauscht, um uns wieder zu treffen. So erfuhr ich, dass er seiner Familie vor einigen Jahren unsere Heimatstadt Neckarsulm zeigte, eine Tochter in Stuttgart studiert (hat) und er als promovierter Ingenieur in der Logistikbranche international tätig ist und in den VAE lebt.

Ich erzählte, dass ich Theologie studiert habe, als PR-Berater selbstständig bin etc. und nach dem Besuch meiner Homepages meinte er, auch beruflich könne unser Austausch interessant werden. In dieser Vertrautheit schrieb ich ihm, dass ich von dem Islam-Kritiker Hamed Abdel-Samad „Mohamed – Eine Abrechnung“ gelesen hätte und unser Kontakt sicher auch dem interreligiösen Dialog dienen könne.

Daraufhin reagierte er ein Jahr lang nicht mehr. Ich gratulierte ihm zum Geburtstag und nur daraufhin ließ er sich herab, nochmals zu reagieren. Und wieder war ich wohl zu „echt“. Ich meinte, meine Themenwahl sei wohl zu früh gewesen und umso wichtiger sei, dass wir uns bald sehen, zumal er häufiger in Europa und Deutschland sei. Vermutlich habe ich noch etwas wie, er solle sich nicht so haben, geschrieben, weil auch sein geschriebenes Deutsch noch immer exzellent war. Das ist nun gute 18 Monate her und ich habe nie mehr etwas gehört.

Mein Geburtstag 1969: Vorne sitzt mein Freund Ibrahim (ich sitze hinten links).

Zwar etwas traurig habe ich aber doch respektiert, dass es wohl zu keinem Kontakt mehr kommt, zumal dieser vermutlich anstrengend und weniger leicht geworden wäre als ich erwartet hatte. Unser Kontakt stieg mir nun aber sehr bitter wieder auf, weil die Terrorattacken in Paris und Nizza geschahen, wo ein französischer Lehrer seinen Schülern westliche Kultur, nämlich Meinungsfreiheit, beibringen wollte, und ein (orthodoxer) Priester die Messe las, also seine Religionsfreiheit in einem christlichen (!) Land ausübte, und beide von Muslimen enthauptet wurden.

Ich gebe zu, da fällt es mir schwer, ruhig und differenziert zu bleiben. Dann poppt in mir auf, wie mein alter Schulfreund Ibrahim mich behandelt, dessen Vater und Tochter in „meinem“ Land studiert haben, die Privilegien unserer Gesellschaft genießen u.v.m. Sicher glaube ich, dass „der Westen“ dem Sudan und der „arabischen Welt“ viel Unheil angetan hat. Und ich schäme mich für Ausbeutung, Demütigung u.v.m. Aber ich verlange auch Respekt für mich, meine (christlichen) Werte und meine (demokratische) Gesellschaft.

Klar weiß ich, dass vor allem der Analphabetismus unter muslimischen Männern mit dazu führt, dass man sie aufhetzen und instrumentalisieren kann. Ich weiß aber auch aus meiner abendländischen Gesellschaft, dass viele Männer zu faul sind, etwas zu lernen und sich anzustrengen und sich lieber auf den Privilegien einer patriarchalischen Gesellschaft ausruhen. In Europa haben meine Vorfahren notfalls mit der Hexenverbrennung Frauen mundtot gemacht, mit dem zölibatären (!) Priesteramt nur für den Mann dessen Vorherrschaft in Welt und Kirche legalisiert und zementiert und mit Erstgeborenen und Stammhaltern Rivalitäten geschürt und das Weibliche abgewertet.

Dass Ibrahim, der zur Bildungselite in der arabisch-muslimischen Welt gehört, dermaßen zickig reagiert trotz einer gemeinsamen Kindheit und Verbundenheit, macht mich sehr pessimistisch und zurückhaltend für den interreligiösen und interkulturellen Dialog. Die gute Nachricht: Wir, das Abendland, haben die patriarchalische und christliche Schräglage überwunden und auch der Sex ist mit emanzipierten, selbstbewußten Frauen besser (die Beziehung sowieso). Deshalb wird auch der Islam diese Schräglage und Deformation seiner Werte früher oder später überwinden. Daran glaube ich, dafür lebe ich und dafür bete ich.

2 Comments

  1. Terje Lange

    Lieber Leo,

    « Die gute Nachricht: Wir, das Abendland, haben die patriarchalische und christliche Schräglage überwunden und auch der Sex ist mit emanzipierten, selbstbewußten Frauen besser (die Beziehung sowieso). »

    Ich denke, weder haben wir die patriarchale und christliche Schräglage überwunden, noch ist der bessere Sex mit selbstbewussten und emanzipierten Frauen ein Indiz dafür. Mithin bezeugt dieses Urteil im Grunde genau das Gegenteil: zum einen weiß-christliche Fragilität einerseits und Sexismus andererseits (emanzipierte Frauen können mit Sicherheit mehr als nur das Eine und ein wertschätzender Kommentar sieht in meinem Urteil anders aus). Ich frage mich ob deine Sehnsucht nach Kontakt dich dahin bringt, einen alten Freund auf seine Religion zu reduzieren oder sein Verhalten in Beziehung zu terroristischen Attentaten zu setzen. Wenn ich die Verwerfungen klerikaler Christen in den USA mit dem Verhalten mancher Europäer gleichsetzen würde, hätte ich den Glauben an ein würdevolles Zusammenleben an so mancher Stelle auch verloren.

    1. Danke, Terje, Dein Konjunktiv scheint mir ein cleveres Stilmittel zu sein.
      Meine Trauer (über den Verlust der Freundschaft) wollte ich bereits in der Headline ausgedrückt haben.
      Dein Kommentar sagt m.E. mehr über Dich als über mich. Und über Deine Intention, mich so (miß-)verstehen zu wollen, möchte ich in diesem Format nicht spekulieren.
      Zur Klärung unter vier Augen bin ich – wie bereits gestern gemailt – bereit. Danke.

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