Fast stündlich ist an diesem „Krieger-Wochenende“ zu spüren, wie die 15 Teilnehmer kraft- und würdevoller, nachdenklicher und zuversichtlicher werden. Bei der Abreise am Sonntag nach dem Mittagessen im wundervoll gelegenen Bildungshaus Kloster Schöntal im lieblichen Jagsttal scheint jedem Mann zwischen 31 und 71 Jahren klar zu sein, was nach seiner Rückkehr in den Alltag zuhause oder im Beruf für ihn zu tun ist: Gut 48 Stunden ging es zuvor im Stuhlkreis und auf dem Schießplatz mit Pfeil und Bogen um Klarheit, Entschlossenheit, Intuition – und Vertrauen. Allein schon die Vertrautheit untereinander in der Gruppe und die Offenheit bei den Tischgesprächen und beim Bier am Abend berührt viele Männer tief.
Meinem Co-Referenten Christian Kindler, mit dem ich im Wechsel mit den Teilnehmern in diesem Kursangebot arbeite, gelingt jährlich die Dramaturgie im Freien und im Umgang mit der Waffe, die Männer mit ihren Gefühlen in Verbindung zu bringen. Dabei geht er niederschwellig vor: Nach dem Ankommen am Freitag wählt jeder Mann seinen Bogen, spannt ihn, legt einen Pfeil auf und zielt auf eine Scheibe. Das Prozedere erfolgt immer in fünf Phasen. Dabei geht es um Technik, Haltung, Atem. Und schon hier fühlen sich die Männer mit ihrem Ehrgeiz, ihrer Angst zu versagen oder ihrer Neugierde konfrontiert – und erleben, dass andere Männer anderes fühlen.
Mein Part erfolgt jeweils unter Einhaltung der Corona-bedingten Abstandsregeln in einem weit ausladenden barocken Seminarraum mit hohen Decken und jeder Menge Stuck an Decken und Wänden. Für wahr ein edles Ambiente, um mit Königen oder zumindest edlen Rittern zu arbeiten. Denn in meiner Arbeit geht es gestalttherapeutisch um die Begegnung mit mir selbst: Was ist Gold in meinem Leben – und was Schatten? Denn wenn ich in meiner positiven Energie bin, z.B. Freude, Hoffnung, Dankbarkeit, Respekt, kann ich für mich und andere viel Gutes erwirken. Bin ich aber in meiner negativen Energie, z.B. Neid, Eifersucht, Verzagtheit, Angst, werde ich für mich und andere gefährlich und (selbst-)zerstörerisch.
Dieses Seminar dient insgesamt dem Ziel, die eigene Wut zu entdecken und zuzulassen. Denn nach dem Schweizer Psychotherapeuten Carl Gustav Jung, auf dessen Basis ich therapeutisch mit Menschen arbeite, ist die Wut das Grundgefühl des „Kriegers“, der wiederum einer der vier Archetypen menschlichen Daseins ist. Meist aber verstecken wir die Wut, weil sie gesellschaftlich negativ besetzt und damit verpönt ist. Vor allem Buben wird sie schon frühzeitig von der Mama, Erzieherinnen, Lehrerinnen etc. abtrainiert, weil sie anstrengend ist und vermeintlich Abläufe stört. Dabei beruht diese gesellschaftliche Konvention auf einer Verkürzung und einem Mißverständnis.
Denn einzig in der Wut sitzt die produktive Kraft zur Veränderung. Und in unserem Alltag, unserem Leben und in der Gesellschaft wären viele Aspekte zu verändern, um eben besseres Leben zu ermöglichen. Wer hier aber nicht den „Krieger“ in sich zur Verfügung hat, wird nichts verändern, sondern in schlechten Beziehungen, schlechten Gewohnheiten u.v.m. verharren. Dann versinkt die Welt in Resignation und Chaos. Und der einzelne wird krank, wenn er es nicht längst schon ist. Entscheidend ist der Unterschied, wo schon Jesus von „Unterscheidung der Geister“ sprach. Denn der unerlöste Krieger reißt in seiner Verzweiflung alles mit in den Tod. Der erlöste Krieger aber, z.B. Jesus, Mahatma Gandhi, Martin Luther King, achtet auf sich und seine Möglichkeiten; ruht aus, wenn er müde ist; sucht sich Verbündete und wählt den richtigen Zeitpunkt.
Mein Credo: „Ich gewinne immer häufiger, ohne zu kämpfen“, scheint die Männer erreicht zu haben. Und auch mein Anliegen, nur dann in den Kampf zu ziehen, wenn ich in der Liebe bin. Denn dann geht es nicht darum, andere zu besiegen, zu beschämen oder gar zu vernichten, sondern in Verbindung mit ihnen zu kommen. Viel vermeintliche Toleranz ist in Wahrheit Resignation oder Gleichgltigkeit. Im Idealfall gelingt über die Austragung des Konflikts als edelster Form der Zuwendung und des Interesses am anderen, sich zu verbünden. Oder zumindest einen Waffenstillstand herzustellen, der ebenfalls befriedet, weil Grenzen nicht ständig aufs Neue ausgetestet werden.
Wer nun Interesse an dieser Form von Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung in einer vertrauten Gruppe hat, kann dies vom 11. bis 13. September mit mir als Referent in Kloster Schöntal erleben. Erste Anmeldungen liegen bereits vor. Dann geht es um den Umgang mit Niederlagen und Scheitern. Man kann dieses Angebot auch gerne als Fortsetzung des Krieger-Wochenendes verstehen. Denn Scheitern gehört existenziell zu unserem Leben. Die Frage ist auch hier, wie mir damit umgehen: Produktiv/erlöst oder depressiv/unerlöst.