Während diese Woche bei mir wieder Corona-bedingte Absagen eingingen für Veranstaltungen, die Mitte und Ende Mai mit 100 bzw. 250 Teilnehmern hätten stattfinden sollen und wo ich Vorträge oder Workshops gehalten hätte, kamen parallel wenigstens zwei Anfragen bzw. Buchungen für einen Vätertag in Karlsruhe am Sonntag, 8. November, sowie für das Männerfestival in Österreich, wo ich 2021 erstmals einen Workshop halten darf. Diese Anfragen waren psychologisch für mich wichtig, um mir bewusst zu machen, dass es nach dieser Zwangsauszeit irgendwann auch wieder weitergeht. Denn neben dem finanziellen Aspekt spüre ich als Extrovertierter den psychologischen: Ich „brauche“ die Arbeit mit Gruppen und die Begegnung in Teams. Introvertierte, so meine aktuelle Wahrnehmung, halten die jetzige Phase besser aus.
Zugleich treffe ich in meinem Umfeld auf (Klein-)Selbstständige, die diese Zwangspause wirtschaftlich noch viel härter trifft als mich: Berufsmusiker, Yoga- und Finesstrainer, Fotografen, Texter und Gastronomen und Friseure ohnehin. Aktuell denke ich an die Schausteller und Festzeltwirte, die ich teils persönlich kenne, die nun nicht nur ohne das Frühlingsfest auf dem Cannstatter Wasen auskommen müssen, sondern eventuell auch ohne das Volksfest im September. Mit Genugtuung sehe ich dagegen, wie der überzüchtete und überkapitalisierte Spitzensport etwa im Fußball oder in der Formel 1 nun auf den Boden der Realität zurückkehrt oder eher abstürzt.
Denn wenn sich die Massen nicht mehr versammeln (dürfen), ist deren Business auch nichts mehr wert. Vielleicht besinnt sich jetzt mal mancher 22- oder 25-jährige Millionär, auf wessen Schultern er steht. Zum Beispiel des „kleinen Mannes“, der seit 30 Jahren die Knochen hinhält für 35.000 Euro Jahresgehalt oder weniger. Die Verträge von 260 Bundesliga-Fußballern laufen zum Ende dieser Saison aus, habe ich gelesen. Da wird mancher froh sein, überhaupt einen Folgevertrag zu bekommen – egal zu welchem Preis. Zugegeben: Auch meine Wochenenden sind (noch) stiller und unaufgeregter ohne Fußball und Handball der ersten, zweiten und teils dritten Liga ohne Radio- und TV-Übertragung oder den Sportteil am Montag.
Und doch wird mir noch bewusster, wie selbstverständlich ich nahezu alles seither konsumiert habe und was letztlich entbehrlich ist oder mich gar von Wesentlichem ablenkt. Statt dessen lese ich mehr, mache mehr Spaziergänge und gebe kaum 50 Euro in der Woche aus – für gute Lebensmittel. Parallel höre ich, wie sich die Natur vom Menschen erholt, z.B. in Grönland; die Luft in den Metropolen der Welt besser wird und diese verdammte Reiserei per Flugzeug, Kreuzfahrt oder Pkw endlich mal aufhört. Ohnehin habe ich seit Jahren den Eindruck, die Menschen sind mit diesem Weglaufen, das sich offiziell Reisen nennt, auf der Flucht vor sich selbst. Und mancher hat aufgehört, SEIN LEBEN zu gestalten, weil er nur noch von Urlaub zu Urlaub plant.
Was ist mit der Zeit dazwischen? Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass möglichst viele Menschen jetzt anfangen, auch „die Zeit dazwischen“ zu leben; sich einzumischen z.B. in Politik (Ausbeutung der Natur, der Tiere, anderer Länder und Menschen), am Arbeitsplatz zu sagen, was sie stört, z.B. der Kollege, der immer alles besser weiß oder sich vor jeder Arbeit wegduckt; der Vorgesetzte, der nicht empathisch führt (oder gar nicht) u.v.m.; oder mit sich selbst endlich ins Reine kommen und aufhören, ständig faule Deals zu machen und diese mit Süchten oder Zynismus zu kompensieren.
Wenn dem so wäre, dann wäre das Ostern: Denn als Christ glaube ich, dass an Karfreitag der alte Mensch stirbt und nach einer dreitägigen Läuterung als neuer Mensch zurückkehrt, der sich liebt, seine Mitmenschen, die Natur, die Welt. Welch eine Vision. In den kommenden Tagen versuche ich, mich in diese spirituelle Energie dr (Selbst-)Liebe zu bringen und mit dieser bei mir selbst, meinen Lieben und meinen Widersachern und Feinden zu sein. Ich glaube, diese Haltung ist alternativlos. Als Symbol und leichte Übung haben wir schon mal Lindt-Hasen und -Eier gekauft und Bio-Eier, die wir färben. In kleinen, selbstgenähten Leinensäckchen aus Stoffresten (macht alles meine Frau) hängen wir diese unseren Nachbarn Samstagnacht an ihre Haustüren.