Guter Wein und anregende Lektüre: Corona gibt mir einen außerplanmäßigen Vorgeschmack auf den Ruhestand in zehn Jahren. FOTO: FROMM

Es ist derzeit fast wie während meines Studiums 1984 bis 89: Kaum Einnahmen, genügend Wein, viel Zeit und jede Menge (theologische) Lektüre. War es damals Vin de Pays, die 1-Liter-Flasche wahlweise in Weiß oder Rot zu 1,49 D-Mark (!), habe ich heute eine deutliche Verbesserung der Qualitäten und Sorten. Und: Hatte damals mein Zimmer 18 Quadratmeter (und keinen PC, geschweige denn Internet), verfügt das Haus meiner Frau über mehrere Zimmer und einen schönen Garten. Ging ich damals seltenst in die Kneipe, weil die Zeche mein Budget gesprengt hätte, konsumiere ich derzeit wieder zu Hause, weil die externen Optionen geschlossen haben.

Leisteten mir damals Martin Fischer (Pastoralreferent), Martin Redelstein (Lehrer) oder Erich Kleisz (Unternehmer) Gesellschaft an langen Abenden, sind es heute meine Frau und mein IPhone – und ich gehe früh schlafen, weil mein Tag ohne Abendtermine bis 21.30 Uhr lang ist. Damals machte mich innerlich unruhig, dass ich bis zum Ende des Studiums nur vage Ideen hatte, was ich beruflich als Diplom-Theologe machen sollte. Aktuell habe ich in meinem Corona-bedingt ausgesetzten Berufsalltag die Perspektive auf eine Lebensversicherung mit 65 und eine auskömmliche Rente mit knapp 67.

Das macht mich mit 56 (inkl. zwei Scheidungen und fast 20 Jahren Selbstständigkeit) innerlich gelassen, zumal ich immer den Wunsch hatte, „im Alter“ wieder Klassiker meines Theologie-Studiums zu lesen, z.B. Karl Rahner (Grundkurs des Glaubens), Hans Küng (Existiert Gott?), Romano Guardini (Der Herr) oder Paul Tillich (Auf der Grenze) u.v.a., um zu prüfen, ob ich noch verstehe, was da steht; es mich noch interessiert und fasziniert oder was die Erkenntnisse und Sichtweisen heute, gleichsam als „reifer Mann“, mit mir machen. So bietet mir die aktuelle Auszeit bei einem guten Glas Wein die Perspektive zur Lektüre schon jetzt. Und die sonnigen Vormittage nutze ich zu ausgiebigen Spaziergängen in den Schorndorfer Weinbergen. Mein Teint wird bereits dunkler.

Vorher habe ich gesehen, dass der Benzinpreis für normales Super bei 1,19 Euro steht. Getankt hat trotzdem fast niemand. Unser Auto steht fast nur noch in der Garage und über die Unpünktlichkeit der Bahn ärgere ich mich schon lange nicht mehr. Wer mir begegnet, wirkt entspannter und die Natur scheint sich von uns Menschen zu erholen. Weltweit! Denn irgendwie haben wir mehrheitlich den Drang, wenn wir „leben“, um zu arbeiten und zu konsumieren, dass wir dann schonungslos alles zerstören, was uns an Natur, Tieren und Ressourcen wie Luft oder Wasser zur Verfüngung steht. Alles ist aber nur geliehen. Üblicherweise sammle ich während meiner Spaziergänge Müll. Selbst der ist seit Tagen deutlich weniger geworden.

Eine meiner wenigen beruflichen Aktivitäten in den vergangenen zwei Wochen war ein doppelseitiges Oster-Thema für die Südwest Presse in Ulm für den 11. April zu schreiben u.a. ein großes Porträt über den Abtpräses der Benediktiner von Beuron, Dr. Albert Schmidt. Der 72-Jährige hat mich tief berührt in seiner spirituellen Bescheidenheit. Ein Grundmerkmal benediktinischen Lebens sei das „Höre!“. Gemeint ist das Hören auf Gottes Stimme in Stille, Meditation, Gebet, Lektüre und Begegnung mit Menschen. Der Mönch meinte sinngemäß, aktuell sei unserer Gesellschaft ein Stück benediktinischer Haltung auferlegt. Und er wünscht jedem, dass in dieser Herausforderung für ihn persönlich eine Chance liegen möge.

1 Comment

  1. Wir wünschen genussreiche Stunden! Bleiben sie gesund mit Weinen vom Hirschhof!

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